Aus unaufhaltsam sterbendem Walde
flieht Sankt Martin — entlang einer Giftmüllhalde.
Er treibt sein Roß aus verseuchtem Gestüt
eilig voran, um Haltung bemüht.
Seit jeher schon ist Sankt Martin versessen
auf das alljährliche Gänse-Essen.
„Sind sie auch dieses Jahr wieder recht zart?
Hat der Koch auch nicht bei der Füllung gespart?”
Noch während er von Kulinarischem träumt,
steht im Klärschlamm, welcher den Wegesrand säumt,
plötzlich ein Bettler in ärmlichem T-Shirt,
und Sankt Martin, den sowas sonst nie stört,
hält an und mustert den frierenden Armen,
er spürt im Herzen ein tiefes Erbarmen,
und mitfühlend väterlich klingt dann sein Ton,
als er ihn fragt: „Was bedrückt dich, mein Sohn?”
Ganz kleinlaut kommt es von dessen Lippen:
„Ich hatte kein Geld, um im Lotto zu tippen.
Man wies mich ab an Villen und Höfen,
doch bei Lotto verlost man zwölf ganz heiße Öfen;
ein solches Zweirad, mit sechzig PS,
auf dem Rücksitz ´ne Biene — verführerisch kess — ,
die, lieber Sankt Martin, wollen wir wetten?
die könnte mich aus meinem Elend erretten:
Ob über Straßen, ob durch’s Gelände,
so führen wir an die wärmenden Strände!”
Nun nimmt Sankt Martin, im Herzen gerührt,
den Wettschein, den er bei sich geführt,
reicht ihn dem Jüngling und wünscht ihm viel Glück
und entfernt sich mit tränenverhangenem Blick.-----
Er reitet erschöpft und vornübergebeugt,
der Knabe hat ihn ganz klar überzeugt:
Ein schnelles Flugzeug mit flinkem Propeller
brächte auch ihn schnell zum dampfenden Teller,
oder gar eine fauchende Düse
ihn augenblicklich zu leck’rem Gemüse.
Nun treibt er den Gaul an, beschleunigt den Ritt
zum Martins-Essen mit Mords-Appetit.
Günter Uebel, Oktober 2019