Die Begegnung
Ich ging die vielen Straßen lang...
unendlich müde war mein Gang
und schwer vom vielen Wein.
Was soll's: ich war allein.
Ich fror entsetzlich, und ich rief:
> Zum Teufel mit dem Seelentief! <
Dann fiel ich hin, fast um ein Haar
betrunken, weil ich einsam war.
Da kam ein alter Mann vorbei.
Mir war der Alte einerlei -
doch er stützte mich beim Gehen.
Ich konnte sein Gesicht nicht sehen
und lallte: > Mich will keiner hier.
Bin unbeliebt - liegt wohl an mir.
Freunde hab ich längst nicht mehr
und alles ist so sinnlos, leer..! <
Der Alte sah mir ins Gesicht.
Da streifte ihn ein Straßenlicht...
Wie furchtbar war er doch entstellt!
Wie jemand, nicht von dieser Welt.
Schreien wollt' ich vor Entsetzen -
doch das würde ihn verletzen.
Eins seiner Augen stand heraus,
die Nase sah zerschnitten aus,
der Mund hing schief an seinem Kinn:
Ein Monster!, kam mir in den Sinn.
Sein fauler Atem streifte mich
und leiser Ekel regte sich,
als er noch etwas näher kam -
verlegen und auch voller Scham.
Da sprach es traurig aus der Fratze:
> Ich bin wie eine nasse Katze,
die sich zumeist verborgen hält
vor dem Spott in heller Welt.
Ich mag die Nacht, die stille Zeit,
wenn niemand 'Ungeheuer'! schreit.
Frühmorgens schleiche ich nach Haus
und heul mir oft die Augen aus. <
Wir stapften noch ein kleines Stück.
Er winkte mir und rief: > Viel Glück! <
Ich sah ihm nach, wie er entschwand
im Schatten einer Häuserwand.
Noch sehr viel später, in Gedanken
sah ich jenen Alten schwanken,
wie er da durch's Dunkel schleicht
und mir seine Hilfe reicht.
Und ich fand, er hatte recht
als er sagte: > Na, so schlecht
geht es dir doch wirklich nicht:
auch wenn dein Mund ganz anders spricht. <
(c) Ralph Bruse