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Gedichte über das Schicksal - Seite 265


Der Clown auf dem Drahtseil

Der Wind spielt wild mit seinem Haar.
Er ist nur Mund und Augenpaar.
Die Nase rundet sein Gesicht.
Was ihn bewegt, das sieht man nicht.

Die Jacke, viel zu klein gewählt,
mit Tupfen auf ihr, ungezählt,
entblößt die Regenbogenweste
und eine Fliege wie zum Feste.

Beiläufig setzt er Fuß vor Fuß,
winkt mit dem Schirm zum frohen Gruß,
schwenkt ihn bedenklich hin und her –
ein Segler auf dem Menschenmeer.

Die Menge jubelt laut und jodelt,
der Hölle heißer Atem brodelt
tief unter seines hellen Blickes –
ein Meister unverzagten Glückes.

Das Ende ist noch nicht zu seh’n,
noch weit auf schmalem Grat zu geh’n.
Die Jacke bläht, der Schirm fliegt steil,
ein Blitz erhellt das hohe Seil.

Der Himmel will das Spiel beenden,
den Geher auf dem Glückspfad wenden.
Die Fliege taumelt samengleich
nach unten in das dunkle Reich.

Doch ungetrübter ist sein Blick,
beim Seiltanz, weiter, Stück für Stück.
Je näher – zäher wird sein Wille,
ein Tänzer für des Lebens Fülle,

und doch ein Narr in allen Dingen,
die Leid und Mitleid mit sich bringen.
Wo and’re weinen, muss er lachen,
muss Heiterkeit aus Leid entfachen.

Ein Tritt ins Nichts. Die Menge raunt.
Noch immer scheint er gutgelaunt,
hält fest das Tau mit beiden Händen.
Was froh begann, soll traurig enden?

Der Wind spielt wild mit seinem Haar.
Er ist nur Mund und Augenpaar.
Die Nase rundet sein Gesicht,
was ihn bewegt, das sieht man nicht.

Sein breites Lachen hört man kaum.

Im Land des Lächelns ruht der Clown.

© Anita Hasel 2010
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