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Gedichte über Humor - Seite 152


Das gemalte Gedicht

Gestern schrieb einer mir im Bericht:
„Mal doch einmal ein Gedicht!“
Wie soll ich in Farben entstehen lassen,
was sich in Worte kaum lässt fassen.
Ich lag die ganze Nacht lang wach,
diese Worte machten mich schwach.

Ich grübelte und wälzte mich herum,
doch die Idee fand ich nicht so dumm.
Ich geb einer neuen Tabelle ein Gesicht,
welches Adjektiv einer Farbe entspricht.
Ich könnte rotes für die Liebe nehmen,
braun wie Füße gilt dann für schämen.

Gelb ist immer noch die Eifersucht
grau, wenn einer etwas sucht und flucht.
Für letzte Versuche gilt das Violett,
auch wenn diese Farbe nicht sehr nett.
Lila ist meist der allerletzte Mode-Schrei
auch für Hoffnung und Tand so nebenbei.

Gold ist für Reden und Hochzeitsreigen
Silber für alte Dinge und das Schweigen.
Grün ist die Hoffnung eines jeden Alten
und blau das zeichnet im Antlitz Falten.
Weiß ist die Unschuld, meist der Jugend,
rosa gehört dazu als die verliebte Tugend.

Schwarz ist für eine unbestimmte Dauer,
die schlichte Farbe der Rücksicht und Trauer
Ich wollte nicht theoretisch studieren,
sondern auch praktisch ausprobieren.
Tuben, Pinsel, Terpentin und Staffelei
trug ich samt einer Farb-Palette herbei.

Dann suchte ich mir die Inspiration,
und fand sie bei der Nachbarin schon.
Ihr Holz vor der Hütte bot sich an,
Emotionen zu wecken bei einem Mann.
Ich wollte bei ihr ganz gerne wandern
mit Händen von einer Seite zur andern.

Ich wollte Rundung an Rundung malen,
ohne ein Beispiel, ohne gedruckte Zahlen.
Aller Welt wollte ich in Farbe zeigen,
wozu sich Männer vor Frauen neigen.
Was man nicht sah, aber ahnte,
grollend wie ein Gewitter mahnte.

Ich zog Linien und malte Wände,
schwarze Ränder durch weiße Hände.
Sinus reimte sich endlich auf Kuss,
verbindend sollte sein der Schluss.
Farben tropften, Pinsel flogen,
zum Schluss war es ein Regenbogen.

17.08.2013 © Wolf-Rüdiger Guthmann
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KRAGENBÄR

DER KRAGENBÄR**
Ein Operationsbericht
Melodramatische Skizze in 4 Akten,

(** Erklärung des Titels: Während 12 Wochen nach der Operation muss der Patient einen breiten Kragen tragen)



PROLOG
„Sie liebt mich, ja“, „sie liebt mich, nein“ …
Wer kennte nicht des Jünglings Pein,
der frisch verliebt, nach alter Sitte,
zupft Blatt um Blatt aus der Margritte,
und hofft, dass wenn sie abgetakelt,
das letzte ihm sein Glück orakelt.

Der Jüngling ist in seiner Qual
ein Patient, der meint die Wahl
„Ja“ / „Nein“ zu sagen sei noch offen.
Doch die Entscheide sind getroffen:
Aus CT, Röntgen, MRI
ergibt sich klar: „Disk-Ektomie“1

HIGH NOON 1
Und endlich ist es dann soweit:
Kein Fluchtweg offen weit und breit.
Nun geht nichts mehr nach meinem „Gring“,
Der Chef heisst Uwe Ebeling2

Bedrohlich liegt das OP-Hemd
da auf dem Sims. Mir ist es fremd;
weil viel zu weit und hinten offen,
fühl‘ ich mich indiskret betroffen.

Und weisse Strümpfe? Nicht mein Fall!
Wie Mädchen auf dem Schülerball!
In der grotesken Maskerade
schiebt man mich durch die Zielgerade

- ich schon ganz „high“- zum OP-Saal:
„Spalier in Weiss“ steht Personal.
Ich hör, deucht mich, noch Messerwetzen,
vom Bauch herauf steigt das Entsetzen.

Es dauert kurz, ein kleines Nu,
die Augendeckel klappen zu.
Ein gelbes Pillchen hat genügt,
dass man jetzt über mich verfügt.

ENTRE-ACT
Was dann geschieht ist video-tisch
so nicht belegt, entspringt traumatisch
erhitzter Fantasie: Postfestum3
paart sich der Irrtum mit dem Faktum

IN MEDIAS RES 2
Wie auch der Koch in seiner Rolle
macht der Chirurg Materialkontrolle.
Er überprüft die Mise-en-place:
Ist alles da? Fehlt irgendwas?

Scheren hier, da die Skalpelle,
Dremel4, Bits, flexible Welle,
zum Fixieren Retraktoren5,
LED-Spotlampen, Reflektoren,

ein Schlauch zum Saugen und zum Spülen,
Schalen, Tupfer und Kanülen,
Pflaster, Bostitch, Klammern, Nadeln, … ?
Alles da, s’gibt nichts zu tadeln!

UNTER TAG 3
Zu HW6 vier und fünf und sechs
Ist bald Gerätschaft unterwegs,
die morschen Disken zu entfernen
und die Gehäuse auszukernen,

so dass dann hier genügend Platz
für Kunststoff-„Cages“7 als Ersatz.
Sehr leis‘, präzis‘ und ohne Eile
die diamantbestückte Feile

frisst immer tiefer sich hinein
ins osteochondrische Gebein8,`
bis sie erreicht hat die Foramen9.
Wenn jetzt was schief geht: „A Dieu, Amen!“

Nur keine Angst vor den Gefahren!
Die zwei Doktoren10 sind erfahren
und führen äusserst kompetent
das heikle Werk zum guten End.

Dann Schlusskontrolle, Mise-en-place.
Verflixt wär’s, wenn man merkte dass,
ein Schraubenzieher fehlen tät,
nachdem die Wunde zugenäht.

DIE ERDE HAT MICH WIEDER 4
Verschwommen über mir ich seh‘
- dem Stift entflogen von Paul Klee -
schwebend einen Kranz von Engeln,
die alle um den Vortritt quengeln.

Der polyglotte blonde Chor
trägt schüchtern seine Fragen vor:
Wie geht’s denn? Comment allez-vous?
„Come stai?“, „How do you do?»

Doch lange dauert‘s, bis es dämmert,
und müder Geist, weil noch belämmert,
matt feststellt: „Bin ja wieder da!“
Bach sänge hier: „Halleluja“.

Dann Ohren spitzen, Augen rollen,
und plötzlich keimt in mir das „Wollen“.
Ich krümm‘ die Finger, spür‘ die Zeh‘,
und irgendwo gedämpft tut’s weh.

Doch Freude herrscht, es springt das Herz,
nimmt sich zum Busenfreund den Schmerz.
Ich juble laut lautlose Lieder:
Hurra, „die Erde hat mich wieder!“

EPILOG
Seit Tagen geht im Dorf die Mär,
im Gwattbergwald11 ein Kragenbär
hab‘ kürzlich sein Quartier bezogen.
Noch zweifeln zwar die Biologen,

ob das vielleicht ein Baribal12.
Bis restlos aufgeklärt der Fall,
wird nun dem Förster angeraten,
mit dem Abschuss zuzuwarten.


Anmerkungen
1. Diskektomie, med., Entfernung von Bandscheiben
2. Dr. Uwe Ebeling, Neurochirurg, Lindenhofspital Bern
3. postfestum, lat., wörtl. „nach dem Fest“, d.h. danach, nach der OP
4. DREMEL, Universales Bohr- und Fräsgerät für Hobbyhandwerker
5. Retraktor, Spanngerät, „Schraubstock“, Hilfsgerät bei der OP
6. HW, Halswirbel
7. Cage, engl. „Käfig“ aus Kunststoff, Platzhalter für Bandscheiben
8. Osteochondrose, degenerative Knochenstruktur
9. Foramen, med. Löcher, Austrittsöffnungen für die Nerven
10. Dr. Ebeling und Dr. Zuber, Orthopäde, Lindenhofspital Bern
11. Gwattberg, Hügel zw. Schlosswil und Biglen, der Autor wohnt da
12. Baribal, amerik. Schwarzbär/asiat. Kragenbär, ursus thibetanus
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