....Das Leben bietet dies und jenes,
zum Glück gelegentlich auch Schönes.
Das ist erfreulich, denn sonst wär
es ziemlich monton und leer.
....Die Augen müssten furchtbar darben,
gäb´s nicht für sie die Pracht der Farben:
Gelb, rot, blau, grün mit all den schönen,
kaum aufzählbaren Zwischentönen,
die sich, wenn gute Kräfte walten
zu wahren Sinfonien gestalten,
sei´s die Natur, die überquillt,
sei´s ein in Öl gemaltes Bild.
....Doch gibt es einige, die sind,
obwohl sie sehen können, blind.
Für sie scheint in der Daseinsschau
grundsätzlich alles grau in grau:
Der Blumenstrauss auf ihrem Tisch,
vielfarbig und verschwenderisch;
der Park, in dem Narzissen blühn,
des Frühlings zartes Maiengrün;
ein Feld von Tulpen ringsumher,
der Sonnenuntergang am Meer,
der Atmosphäre tiefes Blau,
es gibt nur eine Farbe: Grau.
....Noch lauter im Getriebe knarrt´s,
sieht einer überall bloss schwarz.
Selbst das, was funkelt, strahlt und lacht,
erscheint als rabenschwarze Nacht,
so dass der Mensch, anstatt geniesst,
nur angsterfüllt die Augen schliesst.
Denn Dunkelheit bedrückt die Seele
und legt sich würgend um die Kehle,
worüber nur ein Masochist,
den Leid erfreut, zufrieden ist.
....Dann kommt die grosse Gruppe derer,
die gelten als Schwarzweissverehrer.
Sie haben optisch einen Knick,
und zwar in jedem Augenblick.
Sie wissen, scheint es, absolut,
was fehlerhaft ist und was gut,
und sie allein entscheiden recht,
ob etwas gut ist oder schlecht,
wobei sie sich zutiefst verkeilen
in einem Netz von Vorurteilen.
So endet meistens die Geschichte:
die anderen sind Bösewichte.
Sie ihrerseits mit grossen Gesten
bescheinigen sich weisse Westen,
doch leider und in dubio
sind die Verhältnisse nicht so.
....Noch andre suchen die Idylle
durch eine rosarote Brille.
Was sie erblicken, zeigt sich immer
in einem süsslich-warmen Schimmer,
so dass des Lebens Schattenseiten
an ihnen schlicht vorübergleiten,
was zwar den Optimismus nährt,
jedoch der Wirklichkeit entbehrt.
....Weiss ist die Unschuld, schwarz der Tod;
der Neid ist gelb, die Liebe rot.
Wer blau ist, hat zu viel gesoffen;
was grün ist, lässt den Menschen hoffen.
....Soweit ein Einblick in die Sphäre
symbolgetränkter Farbenlehre,
den jede Frau und jeder Mann
mit Leichtigkeit erweitern kann.
Er wähle aus der Farbengarbe
sich ruhig eine Lieblingsfarbe.
Doch klar sei, ein Aspekt allein
kann nicht und nie das Ganze sein.
Einseitigkeit ist nichts Gescheit´s.
Auch das, was anders ist, hat Reiz.
Gerade darin liegt die Würze
in dieses Lebens trüber Kürze.
Die Welt ist nämlich nicht nur rund,
sie ist vor allem herrlich bunt,
vergleiche Autos, Unterhosen,
Tapeten, Haare, Wein und Rosen.
Silesio