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Gedichte über Eltern - Seite 58


Dieser eine Blick

Jeder hat einen bestimmten Blick, vor dem man Angst hat,
den kennt man am besten von sich selbst.
Jeder hat einen bestimmten Menschen,
bei dem man Angst hat diesen Blick an ihm zu sehen.

Du und ich. Wir beide – wir sind gleich.
Wir sind identisch, eine völlig andere Generation,
und trotzdem ist es als hätte man dich geklont,
nur eben mit dem stärkeren Geschlecht.

Wir haben denselben Mund,
dieselben Augen und den gleichen Gang beim Laufen.

Wir schieben beide alles auf die letzte Minute auf,
nehmen uns vor nächstes Mal wird’s anders, doch nichts ändert sich.

Wir sind beide genau gleich stur,
wenn wir uns etwas in den Kopf setzen, muss das auch geschehen,
doch kann man nicht behaupten wir wären sehr ehrgeizig,

Wir haben beide auch eine hohe soziale Kompetenz,
wir kommen leicht mit jedem gut klar,
doch mögen und vor allem vertrauen tun wir beide nur wenigen.

Wir sind beide so eine Art Energiestein,
wir haben beide eine gewisse Ruhe in uns,
uns wirft nichts so schnell aus der Bahn.

Wir sind beide sehr humorvoll,
können aber auch unsere Meinung in ernste Gespräche einbringen,
wir sind beide diplomatisch,
wir können stundenlang über Filme und Musik reden,
weil wir eben auch dort denselben Geschmack haben.

Wir sind beide leicht beeinflussbar,
wir wollen immer die Meinung eines jeden einholen, der uns wichtig ist
und die Bestätigung einen Erfolg erzielt zu haben.

Wir können beide hin und wieder schnell eingeschnappt sein,
wir sind beide hin und wieder muffig und zickig, doch ich kann dir nicht lange böse sein,
dafür hilfst du mir zu oft, dafür brauch ich dich zu sehr.

Denn auf dich kann ich mich immer verlassen,
du hörst mir immer zu
und dir kann ich immer alles erzählen.
Deine Meinung brauch ich zu allem, beim kleinsten Problem,
sie ist mir die Allerwichtigste.
Vielleicht weil du bist wie ich und ich wie du.
Deshalb hab ich vermutlich auch immer wieder Angst
diesen einen Blick zu sehen,
diesen Blick der Enttäuschung, der dich denken lässt „Was hab ich falsch gemacht?“.
Ich kenne diesen Blick, ich hab ihn schon so oft im Spiegel gesehen,
doch an dir könnt ich ihn nicht ertragen.

Ich weiß egal was ich mach und tu, du bist immer da,
auch wenn ich Fehler mache, auch wenn ich falle,
und trotzdem wird diese Angst nie weggehen,
weil deine Meinung mir die Allerwichtigste ist.
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Mutters Leben

Niemals hätten wir gedacht,
dass Mutter uns zu Waisen macht.
Immer war sie für uns da,
war selbst unseren Tränen nah.

Als junge Frau hat sie betört
und war ledig sehr begehrt.
Nicht nur wegen der Figur,
sie war auch eine Frohnatur.

Mit Tanzen, Sport und Spielen
ward geliebt sie von so vielen.
Dann zog außer ihrem Mann
sie auch noch drei Kinder an.

Kochen, backen, waschen, bügeln,
eigne Hobbies sehr stark zügeln.
Die Familie war der Grund,
Hauptsache, sie war gesund.

Ein Leben lang ist sie gerannt,
hat Arbeitnehmer sich genannt.
Irgendwann war damit Schluss,
weil es Rentner geben muss.

Jeder sagte nur, Gott sei Dank,
jetzt hat sie Zeit ein Leben lang.
Die ersten Jahre war sie dabei
aktiv in jeder Gruppe und Partei.

Zu Hobbies, die sie sich vorgenommen,
ist sie anfangs nicht gekommen.
Es mussten erst die Knochen knacken
und die inneren Organe zwacken.

Nicht aus Spaß ihr Doktor rief,
in die Freizeit geht es sehr tief.
Masseure wollten an ihr verdienen,
Orthopäden ihre Knochen schienen.

Der Zahnarzt ward ihr lieb und teuer,
er machte die weißen Beißer neuer.
Der Apotheker pries oft ihren Scherz
und verkaufte ihr dann Doppelherz.

Und die Maniküre für die Fingernägel
unterschied uns von manchem Flegel.
Die Fußpflege war ihr äußerst wichtig,
denn sonst läuft man niemals richtig.

In den typischen Rentnerkaffeestunden
ließ sie sich auch ein Bierchen munden.
Dabei wird auf deren Wohl getrunken,
die schon auf dem Friedhof versunken.

Sie führte nun noch ihr eignes Leben,
und den Enkeln galt ihr ganzes Streben.
Und in diesen letzten vier Wänden
musste sie friedlich für immer enden.

Jetzt stehe ich an ihrem Grab,
und in der Hand ich ihr Foto hab.
Ich sehe der Mutter ins Gesicht
und dankbar eine Träne bricht.

02.09.2017 © W.R.Guthmann
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