Wenn ich auf der Terrasse sitze
und in der ersten Sonne schwitze,
muss ich anfangs recht stille sein,
dann höre ich die Amsel schrei‘ n.
Schrei‘ n ist nicht das richtige Wort,
denn er singt laut in einem fort.
Er singt so laut er singen kann,
denn er ist doch der Amselmann.
Er sitzt auf dem höchsten Baum,
unter der Spitze sieht man ihn kaum.
An seiner ersten vertrauten Melodie
erkennen alle bereits das Pfeifgenie.
Man muss hören und auch schauen,
dann sieht man auch die Amselfrauen,
die ringsum auf den Bäumen hocken,
weil sie die Melodien locken.
Eben will er eine antippen,
da spitze ich die feuchten Lippen.
Im Mund die Zunge wird gebeugt,
die Atemluft den Ton erzeugt.
Erst einen, dann zwei, dann drei
und schon klingt‘s wie ne Melodei.
Der Amselmann lauscht aufgeregt
und schnell sich hin und her bewegt.
In ihm sich das Gefühl jetzt krimmt,
dass jemand ihm die Weibchen nimmt.
Kaum ist mein letzter Ton verhallt,
es wieder hoch vom Baume schallt.
Zwei, Drei Mal, von laut zu leise
erklingen seine und dann meine Weise.
Dann hat er dieses Spiel durchschaut,
denn weit und breit ist keine Braut.
Er lässt mich, den Rivalen, pfeifen,
um flügelschlagend die Flucht zu ergreifen.
Vielleicht pfeift er ein Abschiedslied,
dass leise durch die Lüfte zieht.
Ich bleibe einsam allein zurück
und ärgere mich auch ein Stück.
Doch ich weiß, morgen irgendwann,
pfeift er wieder, der Amselmann.
26.03.2017 © W.R.Guthmann