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Gedichte über Hoffnung - Seite 217


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Ein neuer Morgen

Der Morgen träumt. Du schaust ihn im Schlafe.
Er ist noch ein Jüngling, ruht in moosweichen Kissen.
Dich ruft schon dein Tagwerk, dich Fleißige, Brave.
Du wirst ihn die nächsten Stunden vermissen.
Es streichelt ihn scheu deine zärtliche Hand,
als wolle sie ihm ihre Freundschaft geloben.
Halb deckt den Schläfer ein loses Gewand,
Darin sind Hoffen und Bangen verwoben.
Darunter gewahrst du - noch keuschen Blickes -
die zarten Formen erwachender Jugend.
Ist dies ein Versprechen kommenden Glückes
oder der Bote scheiternder Tugend?
Erschrocken enteilst du und misst dich nach Kräften
mit Freunden und Gegnern in Alltagsgeschäften.
Doch in Stunden gereift zum begehrenden Manne,
belegt dich der Tag mit verzauberndem Banne,
entreißt dich mit Macht den prosaischen Nöten,
ein verwirrendes Traumbild lässt dich erröten:
0 dass er dich suchte, o dass er doch käme
und in seine fordernden Arme dich nähme.
Du führtest ihn gern in den Garten der Lüste,
du bötest ihm liebend die wogenden Brüste,
du ließest den Kosenden glücklich gewähren
und wolltest ihm täglich ein Morgen gebären.
Dann endlich naht er - zögernden Schrittes
erreicht er die Schwelle - schlürfenden Trittes
die greisen Glieder gestützt auf den Stab,
in ersterbendem Lichte wartet sein Grab.
Und drin versinken sein Leib und dein Kummer,
ruh’n in den Händen der Schöpfung geborgen,
doch schenken sie dir nach erneuerndem Schlummer
aus erdenem Schoß einen Jüngling - den Morgen.
Günter Uebel, 2006
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