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Gedichte über das Alter - Seite 45


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Erntedank

Im Schoß derselben, gold’nen Ähre wuchsen wir
Gut umsorgt, fest umgarnt, warm umschlossen,
Du schirmtest mich vor Regen, im Sturm vertraut’ ich dir
Wir waren eins, so wie aus einem Erz gegossen
Grün wie Sommerweiden waren wir, als der Tag begann
Einst dem andern fremd und schüchtern, ganz wie scheue Rehe
Zueinander, miteinander, aneinander wuchsen wir heran
Eure Augen blicken mich an, wenn ich mich im Spiegel sehe


Die Sonne strahlte jeden gleichermaßen rühmend an
Erleuchtete silbrig mich am Morgen, dich am Abend
Wer einander Schatten warf, der spürte selbst den Schmerz daran
Waren wir doch alle am gleichen Safte labend


Tag auf Tag, mit jedem Wimpernschlag war man reifer
Ein jeder wurde alsbald golden, prall und fett
Auf uns stürzten gierig hinab die hungrigen Greifer
Begehrten uns zu zerren aus unsrem warmen Körnerbett


Nach langen Sommern warmer Sonne
Welcher tränkte den Weizen in froher Wonne
Wuchsen Schatten, grau verblassten still die Tage bald
Unbekannte Stimmen riefen tief aus dem Wald


Plötzlich brach der letzte Halm wir lösten uns geschwind
Fielen ab, waren frei, verstreuten uns im Wind
Statt in Freundschaft zu ruhen wie am Busen das Kind
Lernen wir nun wie allein wir wirklich sind


Einer wurd vom Wind verweht in dornenreiche Hecken
Den andern riss die Flut davon, auf eine weite Reise
Wieder einer blieb im braunen Schlamme stecken
Der letzte diente gar den Schweinen nur zur Speise


Auf jeden warten schwere Prüfungen, Wege, Schicksale
Ob wir blühen, verderben, zermahlen werden
Jeder geht nun seinen Weg allein, zum ersten Male
Oder muss in der Fremde um Gefährten werben


Uns hält das Eis gefangen, friert unsre Herzen ein
Wo dieser Winter ist, kann kein Wir mehr sein
Was einst war ist kaum mehr als ein müder Traum
Der dazu dient, im Schneegestöber uns zu erbaun


Doch die Wärme dieses Sommers
Die zarte Berührung unsrer Spelzen
Der geteilte Kuss des Windes
Das gemeinsame Mahl der Erde



Kann keine Flut hinwegwaschen
Kann kein Stein ausmahlen
Kann kein wildes Tier auffressen
Kann kein Sprössling überwuchern


Ergrünen lässt mich bald des Frühlings’ erster Schein
Bald durchbreche ich den Käfig, mein eisiges Heim
Nicht die Sehnsucht treibt zur Sonne mich allein
Doch Erinnerung an Euch, an das uns in meinem Keim
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