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Gedichte über Angst - Seite 6


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Das Gesicht unter dem Eis

„Kind, gehe nicht zur Hütte am Wald“.
Starr ruht der See, die Nacht ist kalt.
Schaurig heult ein Wolf durch die Nacht
weil er ein finstres Geheimnis bewacht.

Ein Frühling war es, vor langer Zeit.
Der Wald trug sein schönstes hellgrünes Kleid,
da schritt ein fescher Jägersmann
zu der Hütte am Wald im hohen Tann.

In der Hütte lebte zu jener Zeit
des Jägers Liebste, eine junge Maid.
Sie hatte ihm einst ihr Herz geschenkt.
Zu ihr er seine Schritte heut lenkt.

Als er so froh seines Weges zieht,
auf den Lippen ein fröhliches Wanderlied,
ist ihm, als husche ein dunkler Schatten
neben ihm heimlich über grüne Matten.

Als er den stolzen Hirschen sieht,
der voller Angst vor dem Schatten flieht,
Der Jäger seine Büchse hebt an:
und ruft: „Bleiben sie stehen Mann“.

Ein Schuss die Stille des Waldes durchbricht.
Doch es war des Jägers Büchse nicht.
Der liegt nun am Boden in seinem Blut.
Der Wilderer war´s, der so Böses tut.

Er löschte des Jägers Leben aus.
Es wartet umsonst in dem kleinen Haus
des Jägers Liebste fortan Jahr um Jahr,
auf ihn der ihr einst so teuer war.

Der Wilderer hat noch in selbiger Nacht
seine Missetat zu Ende gebracht
und den Leichnam in den See gerollt,
damit ihn niemand finden sollt.

Wenn im Winter das Wasser im See gefriert,
haben Wanderer, die sich dorthin verirrt,
ein Antlitz unter dem Eis geschaut.
Seither den Menschen vor dem Orte graut.

Darum: „Kind geh nicht zur Hütte am Wald,
wenn starr der See ruht, und die Luft ist so kalt,
wenn der Wolf so schaurig heult durch die Nacht,
weil der See ein finstres Geheimnis bewacht.“

Alke Bolte
04.05.2010
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