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Gedichte über Zeitgeist - Seite 68


Charlemagne

Charlemagne


wie Tränen
fielen sie auf sein Haar
die Apfelblüten
im frühen Sommer
wie Zimt
wie Sand so gelb
waren seine Haare
so blond
kurzgestoppel
wie die Felder
über die sie liefen
meine Tränen im heißen Sand
wie eine Fatamorgana
tauchte er auf
durchkreuzte mein Leben
und ging
ja kreuzte es
als er mich glauben lehrte
mit Sehnsucht
Liebe
Hoffnung
als er mich in den Händen hielt
und die Welt für mich weiterdrehte
sie wieder anhielt
während wir so schnell vorbeirasten
in unserem wilden Zug
der unser Leben war
bis nur die Geschwindigkeit mehr blieb
auf zum fernen Horizont
wo seine stahlblauen Augen
mich auffingen
bis die grauen Flecken
in meinem Blickfeld verschwammen


du bist ein niemand
sagte er zu mir
dann lachte er und ging
und wenn ich ihn rief
so ging er nur,
entfernte sich immer weiter
bist immer so fern
und nie für mich erreichbar


und so gingen wir wieder
über gelben Sand
bis unsere Wege
sich wieder kreutzten
und wir wieder unser Lied singen konnten
von fernen Apfelblüten und Schleen
bis der Horizont alles verschlang
bis der Horizont mein Blickfeld füllte
und nur er noch blieb
um mich in seinen blauen Augen
aufzufangen
und so saßen wir Seite an Seite
wie Möwenkinder im Sand
tranken unser rotes Blut aus den Kelchen
bis uns die Tränen liefen
die Wangen hinab
zurück zum Meer
und so warfen wir die Becher
über die Schulter
wo sie klirrend zerbrachen
zurück zu unserer längst zersprungenen Vergangenheit
denn alas!/ leider
es ist alles längst vorbei



längst die Tränen getrunken
die Becher geleert
kein Sand mehr,
über den wir gehen könnten
kein Horizont mehr
und kein Meer
denn längst ist schon alles verschlungen
von der stillen Traurigkeit
längst schon dreht die Welt
sich viel zu langsam
gleichgültig
vor allem um uns her
längst schon
sind wir zu viele Tode gestorben
längst schon
kennst du meinen Namen nichtmehr
das helle in deinen Augen
schon längst erloschen
dass du mich nichtmehr erkennst,
vergessen
dass du eine Schwester hattest ...



doch Bruder,
ich bin immer da
lieb dich immernoch
weiß du bist immer ein Teil von mir
- und ich von dir -
hast immernoch mein Herz
das du mit den anderen bewahrst,
und wenn auch der eine stirbt
so leben wir als eines weiter
teilen wieder Körper und Seele
wie jene ferne Sehnsucht
die wir einst fühlten
und wenn ich zum Horizont blicke
zum grau am fernen Horizont
so seh ich noch immer die weißen Flecken
hör noch immer dein Lachen
wenn du [wieder] einhängst und gehst
so fern und unnahbar
fährst wieder
in deinem wilden Zug vorbei
und winkst nur
während du gehst



und ich weiß
bist immernoch mein Bruder,
im Herzen vielleicht.
selbst wenn das Leben
uns für immer trennt [...]




und so fallen wieder
die weißen Kirschblüten zu Boden
ein weitres Jahr vergangen
denk immernoch zurück
an Apfelblüten und Schleen
wo wir sangen unser Lied
spür dich in meiner Seele
wie jene ferne Sehnsucht
die du einst warst
die ich mit dir teilte



und so gehe auch ich
lass das rufen nun
vielleicht für immer
lass dich deiner Wege ziehn
mit meinem Herz allein davon
lass dich gehn
wohin der ferne Wind dich trägt
auf zum fernen Horizont
zur nächsten Illusion
dort wo Himmel und Erde sich berührn
wo der Horizont
das Meer noch sieht
wo das ferne Meer
die Gezeiten davonwäscht
und auch Horizont und Meer
langsam
ineinander übergehn
ihr sein zu einem wird
Horizont zu Meer
Meer zu Horizont
und sie sich langsam
wieder zu lösen beginnen
wo das Meer
die Zeit davonwäscht
und die grauen Flecken langsam verblassen
bis nichts mehr bleibt
als ferner weißer Sand
getragen vom Wind der Veränderung
kein Horizont
kein Meer
keine ferne Sehnsucht mehr
nur eine immer dünner
werdende Linie
dort zwischen Himmel und Erde
weit weit weg
am Ende des Sichtfelds
langsam verblassend



bis auch das Meer verschwunden ist


denn der Horizont ist längst schon fort
der Horizont ist längst nichtmehr


(und so ist Charlemagne)


und doch bricht es mir das Herz
wenn ich das rufen lassen soll
(kann dich doch
nicht einfach gehn lassen)

copyright Lilly Lime
aus Assoziationszyklen Gedichte
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