In memoriam Astrid Brigitte H. (10.05.1946 - 22.05.1946)
Mein täglicher Gang unter trübem
Wolkengeschiebe bei kaltblauem Licht
schob die Augenblicke unter das Schweigen.
Das Schweigen so schweigsam, dass ich
ein anderes Schweigen vernahm, dumpf
und dunkel, lodernd, schwarz und wahr.
Wir lebten so schwindend Stunde um Stunde.
Alle kahlgegangenen Wege waren ausgetreten,
randlos das Trümmerfeld, Gebeine engelhaft.
Der lange Tag zerschnitten hing im Nachtgewölbe,
kein Wort, kein Haus, keine Tür, kein Fenster,
keine Regung, vermauert, unter den Füßen Eiter
und Teer von Blut getränkt, so hoffnungslos,
so infektiös. Paradies und Hölle gleich.
Und die Straße führte neben ratternden Schienen
ins Leblose, ins Mutverlorene, in gähnende Leere.
Meine Schwester, die erstgeborene lag im
Brutkasten der Hoffnungslosigkeit, abgemagert,
grau die Augen, tot das Herz, allein im gruseligen
Weiß, beim Klang der Glocken zum Nichts erschien
eine Flügelgestalt und stellte Fragen.
Blutrote Flure, keimgetränkte Betten, Seuchenskalpelle
schnitten Grimassen ins Sternenzelt, es bröckelte
die Stunde nach dem Urbild, jenem böigen Schall
der vielgeflüsterten Sprachen, so unverständlich ungehört.
Aber niemand sah die Lastwagen, die Züge, die uns enteilten.
Aus der Ferne trat ich über die Schwelle, mit meinen Fingern,
meinen Armen dich zu ertasten, um dich mit meinen unmeßbar
gestreckten Gefühlen zu umschlingen.
An der Grenze zum Wolkenfall und der Morgenröte, meine
leuchtende Bitte langsam verblaßte und ein Seufzer, ein Hauch
von Liebe dich in die Ewigkeit hob.
(c) Volker Harmgardt