Gedichtenorm
Dereinst äußert' ein kluger Mann
Sich zur Zahl der vielen Gedichte,
Die jemand wirklich schreiben kann,
Damit sie eingeh'n in Geschichte.
„Lieber pro Jahr nur e i n Gedicht,
Das diese Welt dann gut befindet,
Als Machwerke ohne Gesicht,
Die nur das Leserauge bindet.“
Er selbst für sich schrieb immer mehr
Als ein Gedicht fürs ganze Jahr
Und schimpfte dennoch meistens sehr,
Wo er bei anderen fündig war.
Er geißelte Gedichtvielschreiber,
Wobei er sich als Großen sah,
Der toll schrieb, ein Genieverbleiber,
Allein dem lieben Gott so nah!
Und eines Tages kam der Sohn:
Schöner Gedichtband, gut in Form.
Der Vater lobte nun vom Thron,
Doch war das noch die eigene Norm?
Nun, die Gedichtchen war'n nicht schlecht:
Natur- und sehr viel Weltgewissen,
Dem eigenen Vater groß und recht,
Was Sohnemann da eingerissen.
Dabei wollte der gar nicht dichten,
Viel lieber chillen in der Stadt,
Den Oldtimer endlich herrichten,
Weil er an Technik Freude hat.
Als da die Resonanz ausblieb
Und niemand den Band registrierte
Der Vater hatt' den Sohn so lieb,
Dieser sich nun schlimm aufführte.
Er geißelte die Vieleschreiber,
Schrieb, dass sie ihm Zumutung wären,
Reimzerstörer, Wildworttreiber,
Die nur den guten Stand verheeren!
Gar mancher kommt da gut in Form,
Wenn man macht, was e r will.
Er kappt für sich die eigene Norm,
Wenn Anderes sein Ziel.
©Hans Hartmut Karg
2018
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