Gedanken versunken genieße ich die Frühlingssonne auf der Terrasse.
Meine Gedanken wandern in mein 15. Lebensjahr zurück.
Mit drei Jungens sehe ich mich auf der kleinen Brücke beim Bäcker Bunger.
Es ist Sonnabendnachmittags. Warm scheint die Herbstsonne.
Wir lehnen uns über das Brückengeländer und spucken ins Wasser.
Mein Opa trägt noch eine Nachtmütze und ein Nachthemd sagt Hannes leise und spuckt wieder ins Wasser.
Eine Nachtmütze, fragt Christian.
Wie Onkel Fritz in Wilhelm Busch, sagt Hannes.
Wir lachen und stellen uns Onkel Willi im Nachthemd und Zipfelmütze vor.
Onkel Willi war sehr groß. Vielleicht 1,90m und spindeldürr.
Tante Mimi, seine Frau, war sehr klein und pummelig.
Ein auf dem Fahrradsattel gebundenes Sofakissen, verriet, das Hämorriden ihr zu schaffen machten.
Es war doch zu drollig, wenn Onkel Willi und Tante Mimi sonntags mit dem Fahrrad zur Kirche fuhren.
Onkel Willi hatte immer eine Prinz Heinrich Mütze auf dem Kopf.
Kerzengerade saß er auf seinem Fahrrad und qualmte seine Pfeife.
Tante Mimi schaukelte dann hinterher.
Für uns Jungens gab es nur noch den einen Wunsch.
Wir wollten Onkel Willi im Nachthemd und Nachtmütze sehen.
Hannes zeigte uns das Schlafzimmerfenster seiner Großeltern.
Es befand sich gegenüber der Straßenseite direkt am Kohlfeld.
Pünktlich um zehn legten sich Heini, Emil und Christian auf die Lauer.
Onkel Willi kam ins Schlafzimmer und schaltete das Licht an.
Bis auf Unterhemd und Unterhose war er schon ausgezogen.
Sein Nachthemd und auch die Nachtmütze lagen säuberlich auf seinem Bett. Onkel Willi zog das Nachthemd an. Die Spannung war fast unerträglich.
Als er sich dann die Nachtmütze aufsetzte, konnten sich die Jungen kaum stillhalten.
Tante Mimi kam schon im Nachthemd ins Schlafzimmer.
Müde legte sie sich in ihr Bett. Auch Onkel Willi legte sich schlafen.
Gute Nacht, hörte man Onkel Willi sagen. Gute Nacht, sagte auch Tante Mimi. Onkel Willi löschte das Licht.
Als die Jungen sich zurückziehen wollten, wurde es im Zimmer wieder hell.
Tante Mimi krabbelte aus ihrem Bett, mit schwerem Gang bewegte sie sich zum Frisierspiegel.
Sie drehte sich um, bückte sich, zog sich ihr Nachthemd hoch, um sorgevoll ihre angeschwollenen Hämorriden in Augenschein zu nehmen.
Den Jungen stockte der Atem. Die Köpfe glühten.
Waren sie doch nur gekommen, um Onkel Willis Nachtmütze sehen!
Schreiend und lachend, rannten sie durch das Kohlfeld davon.
Onkel Willi war ihnen barfuß, im Nachthemd und Mütze auf den Fersen. Die Kinder waren schneller.
Mit rasenden Herzen und hochroten Köpfen brachten sie sich in Sicherheit.
Heute leben Tante Mimi und Onkel Willi in einer anderen Welt.
Vor vielen Jahren hat der liebe Gott die guten Menschen zu sich geholt.
In Erinnerung leben sie weiter in den Herzen der Menschen und in den Südgeorgsfehner Geschichten.
Rolf Grebener