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Gedichte über Farben - Seite 49


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Ansichtskarten

…. Wenn einer eine Reise tut,
dann freut er sich, und das ist gut.
Er kann, wie ihm vom Arzt empfohlen,
sich endlich ungestört erholen;
denn nun ist er von Schufterei,
von Sorgen und von Pflichten frei.
Der sonst gezeigte Schaffensdrang
verwandelt sich in Müßiggang,
zum Beispiel und vor allen Dingen:
Den ganzen Tag im Bett verbringen,
dazwischen schlafen, ruhn und dösen,
zur Not ein Kreuzworträtsel lösen,
dann etwas essen oder trinken,
um wiederum in Schlaf zu sinken.
…. Das ist ein Irrtum, alldieweil
es nicht so ist, im Gegenteil.
Wer endlich in den Urlaub fährt,
tut dies nicht völlig unbeschwert.
Er fühlt sich innerlich verpflichtet,
dass er per Post davon berichtet,
genau gesagt mit Ansichtskarten,
auf die angeblich viele warten.
Die gibt´s an jeder Strassenecke
mehr als genug zu diesem Zwecke.
Damit man kauft noch williger,
sind sie im Dutzend billiger.
Zudem ist auch der Postarif
geringer als bei einem Brief.
…. Motive finden, ist nicht schwer,
es gibt noch mehr als Sand am Meer.
Was je auf Zelluloid gebannt,
geschrieben wurde mit der Hand,
gemalt, gezeichnet und geätzt
von Anbeginn der Zeit bis jetzt,
das gibt´s in Farbe und Schwarzweiß
durchweg zu annehmbarem Preis.
Zwar spielt minunter der Geschmack
dem Kenner einen Schabernack,
doch sollte man sich niemals streiten
um solch geringe Kleinigkeiten,
weil, - das erkennt schon jedes Kind -
Geschmäcker höchst verschieden sind.
…. Bunt ist das Leben, sagt man munter,
doch Ansichtskarten sind noch bunter,
denn selbst das schärfste Objektiv
sieht das, was ist, verzerrt und schief,
wenn der, der es bedient und hält,
nur ablichtet, was ihm gefällt:
Kanäle, Flüsse, Bäche, Seen,
Kapellen, Tempel und Moscheen,
die klassisch- griechischen Gestalten,
die sich so lässig aufrechthalten;
ein Sechzehnender bei der Brunst,
neun Zehntel Kitsch, ein Zehntel Kunst;
Kamele einzeln und in Menge,
Mondauf- und Sonnenuntergänge,
Schuhplattlertanz auf satten Almen,
vom Südseewind bewegte Palmen.
…. Der Inhalt ist meist kurz und bündig
und nicht besonders hintergründig:
Mir geht es gut. Wie geht es Dir?
Die Sonne scheint. Ich trinke Bier.
Am 20. bin ich zu Haus,
und alles Gute wünscht Dein Klaus.
…. Wie kommt´s, dass Menschen so was tun,
anstatt sich einfach auszuruhn?
Die Psychologen, in der Lage,
zu lösen selbst die dümmste Frage,
entdeckten auch bei dem Befund
den richtigen, plausiblen Grund:
Der Mensch lässt sich beim Kartenschreiben
von seinem Geltungsdrange treiben.
Er fühlt daheim im eignen Land
sich oft zu wenig anerkannt.
Doch eben dies braucht er auf Erden:
Beachtet und geachtet werden.
So greift im Urlaub beinah jeder,
wie man poetisch sagt, zur Feder
und tut, weitgehend unbewusst,
was ihm mehr Last verschafft als Lust.
Wer nicht schreibt, der wird abgeschrieben,
den kann natürlich kein Mensch lieben.
Wer Karten schreibt von seinen Reisen,
der kann sich doppelt glücklich preisen:
Er amüsiert sich könglich,
und die Empfänger ärgern sich,
denn deutlich wird den allermeisten:
Verflixt noch mal, der kann sich´s leisten.
…. Descartes, der Philosoph, sprach sinnig
den Satz: Ich denke, als bin ich.
Hätt´ unser Thema er behandelt,
dann hätte er ihn abgewandelt,
Das Denken bringt nicht viel Gewinn;
durch Schreiben bin ich, was ich bin.
Nur der Mensch existiert und bleibt,
der viele Ansichtskarten schreibt.
…. Die These, so gesteht man gern,
hat sicher einen wahren Kern,
was andrerseits nicht heißen muss,
sie sei der Weisheit letzter Schluss.
Kein Leser muss sich fortan scheun,
sich jedesmal erneut zu freun,
wenn kolorierte Urlaubsgrüße
ihm wieder flattern vor die Füße.

Silesio
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