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Gedichte über das Alter - Seite 171


Der alte Baum

Solange wie ich denken kann, schon seit frühsten Jahren
Steht hier ein wirklich großer Baum, ich glaub, es lohnt ihn zu bewahren
Ich hoffe dann und wann, er überdauert alle Ewigkeiten
Seine Geschichte glaubt man kaum, will ihn auf seinem Weg begleiten

Seiner Blüten und seiner Blätter Last
Die er hervorgetrieben
Grenzen an ein Wunder fast
Das sein Flüstern mir ins Ohr geschrieben

Sein lindes Grün hat mich so oft erfreut
Dass mich nicht einmal der dunkle Winter reut
Hat er mich mit frohem Glück bedacht
Wenn er mir im Frühling mit Knospen tief ins Herz gelacht

Ein sanftes Lüftchen hat er zugetragen
Gewagt Nektar und Pollen anzusagen
Den vielen, vielen fleißigen Immen
Hundert Jahre hat er's geschafft sie niemals zu verstimmen

Hat sie bewogen sich im Schwarme einzuhängen
An diesen und jenen starken Ast
Sie ehrenvoll gehalten in ihrem Drängen
Auf ihrer doch eher kurzen Rast

Gar manches Vöglein hat einen Platz gefunden
Um sein Liebeslied zu singen
Um pfeifend Stund' um Stunden
Jubilierend um seinen Schatz zu ringen

Manch ein Sonnenstrahl hat sich gezeigt
Zwischen Laub und schmalem Ast
Manch Stern hat sich in seinem Lauf verneigt
Nächtens verträumt abgelassen von des Tages Hast

Manch Wanderer hat sich in seinem kühlen Schatten
Ausgeruht am Wegesrand
Manch Frau hat hier den Gatten
Gefasst an seiner besinnlich ruhigen Hand

So ist Sommer um Sommer dahin gezogen
Manch ein Winter kam mit Schnee
Manch ein Mensch hat sein Haupt gehoben
Auf dass er die weißen Flöckchen auf den Zweigen seh

Gepflanzt vor mehr als hundert Jahren, von sieben stolzen Mannen
Sie erfüllt mit Hoffnung waren, als sie auf die Triebe sannen
Haben sich die dünnen Stämmchen umeinander rund im Kreis gedreht
Auf dass der Wind um Kron´ und Stamme der sieben vereinten Bäume weht

Gehegt, gepflegt und gut gegossen
Die Stämmchen bald zum Stamme wurden, entwuchsen jeder Hand
Viel Wasser ist seitdem in den nahen Teich geflossen
Und der Baum der Bäume reckt seine Äste übers weite Land

Die Wurzeln der sieben Bäumchen
Schöpfen aus dunklem, schwarzem Grund
Verhelfen dem Frühlingsgrün zu seidig weichem Fläumchen
Und tragen die Blätterlast solange bis sie herbstlich bunt

Doch bevor des Jahres Abend
Tut seinen Willen kund
Die Mutter schaut noch fragend
Auf des Erzählers Mund

Auf des Baumes Ast
War des Vaters Sohn einmal zu Gast
Der Vater erinnerte ihn daran
Was er ihm zur Freude tuen kann:

Pflanze einen Baum
Such dir eine Frau
Und zeuge einen Sohn
Der Rest, der find sich schon …

Vieles, das blieb ungesagt
In des Vaters Leben
Weshalb Vaters Sohn ganz ungefragt
fand bald als Liebstes ein Schwesterchen daneben

Doch damit zu beenden
Was sein kühnster, längster Reim
Lag nicht in des Vaters Händen
Der Zwillingsbruder als Jüngster, wollt auch erwähnet sein ...


© Auris Caeli
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