Als ich dich zum ersten mal sah,
dachte ich, du seist Dreck
vermischt mit vertrockneten Blättern.
Ich hob es auf, um es zu entsorgen,
doch dann schaute ich genau hin.
Mein Herz verkrampfte sich, als ich erkannte,
dass du hättest ein Vögelchen werden sollen,
mit einem flauschigen Federkleid,
ein frecher kleiner Spatz oder
eine emsige Meise.
Nun liegst du in meiner Hand
und wirst niemals
einen Laut von dir gegen,
kein Schilpen und kein Gesang
wird dir über den Schnabel kommen.
War es ein Kuckuck, der dich,
noch nicht voll ausgebrütet aus dem Nest warf,
weil er es für sich beanspruchte?
Du hattest keine Chance,
dich zu wehren.
Meine Gedanken gehen zu den
vielen Embryos und Föten,
ganz im Anfangsstadium ihres irdischen Seins.
Die Umstände meinen es mit
vielen von ihnen auch nicht gut.
Sie werden gewaltsam
aus dem warmen Nest gezerrt
und einfach entsorgt,
weil sie im Moment nicht passen.
Oder weil die Lebensumstände
so schwierig sind,
dass man sich schweren Herzens
von ihnen trennt.
In der Hoffnung,
dass es so für sie besser ist,
als ein Leben in
liebloser Umgebung.
Kleines unfertiges Wesen,
ich habe dich mit ins Haus genommen,
den Dreck abgewaschen, dich getrocknet,
da blieb nur dein winziges Skelett übrig.
Du sollst nicht entsorgt werden.
Ich werde für dich ein Grab machen,
dich liebevoll hineinlegen,
als Symbol für die Ungewollten.
In der Hoffnung, dass im Himmel
ein Platz für sie und auch dich ist.
Und du, kleiner Vogel,
zwitscherst dort dein Lied.
© Sabine Brauer 15.07.2021