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Gedichte über Trauer - Seite 200


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Wohin ich auch gehe, wohin ich auch sehe

Wohin ich auch gehe,
du bist nicht da.

Was ich dich noch fragen will,
was ich dir noch sagen will,
kann ich dich nicht fragen,
kann ich dir nicht sagen.

Ich bin fünf Jahre alt und für mich ist selbstverständlich,
du bist immer da,
du zeigst mir deine Zahnprothese, um Oma zu ärgern,
du spielst Brettspiele und Karten mit mir
und erzählst mir erfundene Geschichten über dich,
du ärgerst mich, während ich weine
und bringst mich dadurch doch noch zum Lachen.

All diese Sachen mit dir
kann ich nun nicht mehr machen,
doch ich bin nicht traurig oder wütend,
denn ich weiß du bist noch irgendwo.

Ich bin sechs Jahre alt, als du plötzlich nicht mehr da bist.
Meine Mutter und Großmutter, Tanten und Onkel, Schwestern und Cousinen,
alle weinen sie, alle trauern sie.
Doch ich kann es noch nicht begreifen,
du bist doch nicht weg,
du bist nun im Himmel,
schaust auf uns herab,
spielst mit Gott Karten in unserem Garten
und passt immer auf uns auf.

Ich bin sieben Jahre alt
und für mich bist du der erste Stern am Himmel,
du bist mein Polarstern, der mir die Richtung weist
und mich nie alleine schlafen lässt.

Jetzt bin ich neunzehn
und ich begreife,
dass ich mich an so vieles nicht erinnern kann.

Ich kenne deine Stimme nicht mehr,
ich kenne deine Gesten nicht mehr
und ich kenne deine Liebe nicht mehr.

Ich denke daran, wie du gegangen bist,
wann du gegangen bist und wieso du gegangen bist,
denn plötzlich warst du nicht mehr da.

Wohin ich auch gehe,
du bist nicht da.

Doch eins wird mir nun endlich klar,
wohin ich auch sehe,
seh ich so viel von dir.

Ich sehe deine Augen in den Augen meiner Mutter,
in den Augen deiner Tochter.

Ich sehe deine Nase, deine Finger
und deine umwerfende Tollpatschigkeit im Wesen meiner Schwester.

Ich sehe deine Liebe und dein ganzes Ich im Herzen deiner Frau,
im Herzen meiner Großmutter.

Ich sehe deine Hingabe in jedem einzelnen Familienmitglied,
in jedem deiner Kinder, deiner Enkel und deiner Urenkel.

Und obwohl ich mich an so vieles nicht erinnern kann
und du eigentlich nicht mehr da bist,
sehe ich dich noch immer,
wenn ich abends den ersten Stern am Himmel erblicke.
Dadurch hast du mich,
ohne es zu merken,
mein ganzes Leben lang begleitet.

Wohin ich auch gehe,
du bist nicht da.
Wohin ich auch sehe,
sehe ich nur dich.
Ich sehe und spüre dich noch immer,
denn du wirst immer in meinem Herzen bleiben.
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