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Gedichte über Schmerz - Seite 201


An Dich, ohne mich an Deinen Namen zu erinnern

Ich möchte Dir so vieles sagen und weiß doch nicht,
wo ich anfangen soll. Ich möchte Dir sagen, dass
es eine schöne Stunde war, die wir zusammen
waren. Auch das chaotische Flair des AStA-Büros
konnte das nicht verhindern. Wir kannten
uns überhaupt nicht, trotzdem konnte ich Dir
vieles erzählen, was ich sonst gut verstecke.
Deine Augen, weißt Du, wie gut Du zuhören
kannst? Du hast mir mit Deinen Augen
zugehört, wie andere mich damit nicht mal
sehen können. Ich hab mich sehr wohl
gefühlt bei Dir. Ich weiß nicht, warum
ich beim Erzählen oftmals vor mich
hingucke, anstatt meiner Zuhörerin in
die Augen, aber ich habe das schon oft dabei
erlebt. Es hat wohl mit der Intimität dieses
Themas zu tun, manchmal glaube ich, es
hilft mir, mich zu schützen. Manchmal
tut es mir auch ein bisschen weh, weil
ich das Gefühl habe, gar nicht auf
die Reaktionen der / des anderen eingehen
zu können. Aber trotzdem habe ich bemerkt,
wie Deine Augen lauschen und verstehen,
ohne zu bohren.
Und manchmal waren sie auch sehr
traurig, tief in Dir, und Verzweiflung
war vielleicht das einzige, was Dich
gehindert hat, zu weinen. Und meine
Niedergeschlagenheit hat mir ebenfalls
keinen Platz für stille Tränen gelassen.
Manchmal wundere ich mich über das, was
mich in solchen Momenten umgibt:
Stühle, Tische, Bücher, Zettel, Durcheinander,
und eine Frau, die einfach neugierig
war auf das, was ich sagen würde,
behutsam mit dem, was ich gesagt habe.
Ich habe mich selten nach einer Stunde
schon so aufgehoben gefühlt, wie bei Dir.
Wir haben zwar nicht irgendwelche Gründe
verstanden, aber wir haben uns verstanden,
hängt wohl auch mit den Antennen zusammen
(Du weißt schon). Auch wenn Du nicht
viel gesagt hast, habe ich doch das Gefühl, Dich
ein bisschen zu kennen, denn ich habe gespürt,
wie ich Dich berührt habe. Und das macht
mir auch Mut, auch, Dich zu fragen, ob
Du vielleicht einmal fröhlichere Seiten
von mir kennen lernen möchtest.

Lothar

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Tote Augen

Sie sehen mich an, aus allen Richtungen,
schrecklich, neugierig, ich habe Angst,
Augen, die mich durchbohren, zerstechen,
wie Spieße, durchforsten, wie nach allem
grapschende Hände, zerwühlen wie ein
Grenzen verachtender Wirbelsturm.
Grauenvolle Hände greifen nach mir, nach
meinen Augen, die alles sehen können, alles
mit ansehen, mit ansehen müssen,
oft möchte ich sie verschließen, zumachen,
zulassen, um nichts mehr zu sehen, nichts
mehr sehen zu müssen.
Nicht mehr zuzusehen, wenn Kindern die
Augen genommen werden, wenn kleinen
Mädchen und Jungen ausgestochen wird,
was andere, Große suchen lassen, sich
einfach nehmen, ohne jemals gefragt
zu haben, ohne sie auch nur einmal
angeblickt zu haben, Blicke ausgetauscht
zu haben, sie auch nur eines einzigen
Blickes gewürdigt zu haben, das erleichtert,
befreit und nimmt das Grauen, den
Schmerz, die Verantwortung, darauf zu
reagieren, die eigenen Gefühle wahrzunehmen,
ernst zu nehmen und danach zu handeln.
Wie gut tut es, nicht handeln zu
müssen, nichts mehr sehen zu müssen,
die Augen schließen zu können, verschließen
zu dürfen, wenn schmerzverzerrte Münder
ihre Angst herauszuschreien versuchen, wenn
blutende Augenhöhlen versuchen, ihre Augen
wieder zu finden, um heilen zu können?
Meine Augen sehen Deine Augen, in anderen
Menschen, aber Deine Augen können
meine nicht sehen, unterbrochen, abgebrochen,
erbrochen, verbrochen, zerbrochen, auch mein
Herz, blutend und leidend, ähnlich wie Du,
frage mich, wie Du das aushältst, frage Dich,
wie ich das aushalten soll...


ls000094
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