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Gedichte über Philosophie - Seite 83


Die Schuldfrage stellen

Die Schuldfrage stellen

Darf man sie stellen oder nicht?
Wer darf sie stellen, immer wieder –
Oder eben nur zu einmaligem Gebrauch?

Darf man entlasten, darf man belasten,
Was nicht mehr entschuldbar ist –
Oder lenkt dies gar von Schlimmerem ab?

Von Hannah Arendt kennen wir den Satz,
Die Fliehenden nach 1945 betreffend:
„Politisch sind sie die einzigen absolut Unschuldigen.“

Doch sind Flüchtlinge wirklich unschuldig?
Hat sich da keinerlei Schuld eingeschlichen,
Wurde kein Unrecht verursacht oder gar her getragen?

Trägt eine Mutter Courage mit ihren Kindern
Nicht auch die Schuld an Verhältnissen,
Wenn sie flieht, vielleicht die Umwelt schädigt?

Müssen wir nicht vielmehr lernen,
Dass es nicht so sehr um die Schuldfrage,
Sondern um Verantwortung für Mensch und Erde geht?

Begriffe und Schuldzuweisungen helfen nicht weiter,
Wenn wir nicht die Verstrickung als Faktum begreifen,
Der ohnedies niemand wirklich entfliehen kann.

Und uns ALLE der Schuld laut zu zeihen
Führt zu NIEMANDES Schuldeingeständnis:
Das Schicksal allein ist an allem schuld!

Missbrauchen manche das nicht dafür,
Von ihrer Verantwortung abzulenken,
Um sich selbst um nichts mehr zu kümmern?

Hilft es, allein Schuld anzuerkennen –
Den Opfern oder vielleicht auch den Tätern,
Um mit dem Eingeständnis Sünden glatt zu bürsten?

Wo man noch beichtet und offen bereut,
Hat man da seine Handlungsweisen geändert
Oder missbraucht man Sühne als Tarninstrument?

Die Schuldfrage bringt uns nur weiter,
Wenn wir sie aus der Geschichte verstehen lernen,
Um unverkrampft eine humanitäre Zukunft zu schaffen.


©Hans Hartmut Karg
2020

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