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Gedichte über Pflanzen / Bäume - Seite 119


Yggdrasil

Wir hörten von dem alten Traum
Die Welt, sie wäre wie ein Baum
Die drei Bereiche sind zu sehen
Im Erdreich, da ist's, wo wir stehen 

Die Unterwelt ist Mutter Erd'
Da sind die Kräfte stets am Werk!
Die Mittelwelt am hellen Tage
Sie bringt uns Glück samt mancher Plage

Die Himmelswelt ist lichtvoll prächtig
Die Geisteswelt, sie zieht uns mächtig
Dazwischen läuft die kesse Kunde
Des kleinen Boten, Eichhorns Munde

Am Fuß des Baums sind wir ein Zwerg
Die Schlange liegt am Wurzelwerk
Der alte Brunnen singt in Tiefen
Drei Frauen, die den Baum begießen

Das Schicksal wird noch lang nicht ruh‘n
Bis wir einst wissen, was wir tun
So lange wir die Wälder hegen
Gibt uns der Weltenbaum den Segen

Anm.: Der Mythos der Yggdrasil in der isländischen Edda begreift die Welt in dem Bild eines Baumes. Alle Lebewesen sind bei ihm angesiedelt: der Vogel in der Krone, die Menschen, die Tiere, die Riesen, die Zwerge, die Götter. Er ist der erste Baum, der wächst. Alles Leben hängt an ihm und hängt von ihm ab. Wahrscheinlich hatte man die Esche dabei im Blick. Er hat unglaubliche, fast ‚immergrüne’ Kraft. Aber: er ist auch bedroht von den Hirschen, die seine Triebe und Knospen fressen, Schlangen, die an seinen Wurzeln nagen und Fäulnis am Stamm. Wenn er welkt, naht das Ende.
Im Schamanismus hat man ebenfalls fast immer den Weltenbaum symbolisch bei sich, der die Welt in die drei Bereiche gliedert: Ober-, Mittel- und Unterwelt. Mit Bildern und etwas Musik unterlegt: https://youtu.be/uCjzYXP_WGU
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Das Haus des Regenwaldes

Wie dunkel still ist es am Boden
Der Tapir streift hier, ungelogen,
durch‘s Dickicht schon seit Jahrmillionen,
spürt auf die Obst- und Blattvariationen

Der Regen rinnt durch’s Blätterdach
Zikaden, Papageien machen Krach
Die Luft ist schwül und in den Ästen,
da schaut die Schlange nach den Gästen

Darüber in den unt’ren Bäumen,
da liegt ein Ozelot in Träumen
Wie viele schläft auch er, wenn‘s tagt
und geht bei Dunkelheit auf Jagd

Im Dachgeschoss im Regenwald,
da hängt im Baum, so ist es halt,
ein Faultier, das frisst Früchte, Blätter
und hat‘s gemütlich etwas netter

Noch höher ragen Urwaldriesen
und schaffen heiße, hohe Wiesen
Dort nisten Aras und Tukane
Ein Affe schält sich die Banane

Nur einer hat den Baum verlassen
Er war zu schwach und musste passen,
musst‘ fortan in Savannen leben
und dort nach etwas Neuem streben

Ganz aufrecht geh’n schien nun am besten
So konnt‘ man sehen und auch testen,
was die Arme, Hände können,
sind sie frei von and‘ren Zwängen

Mit Holz und Steinen konnt‘ man schaffen,
erfand das Werkzeug und die Waffen
Auch Feuer lernte man entfachen,
das Essen kochen, Töpfe machen

So schritt man langsam weiter fort
und kam zu Technik, Kunst und Wort,
zu Viehzucht, Ackerbau und Häusern
Man lernte schriftlich sich zu äußern

Der Geist verleiht ihm so viel Macht,
dass nun als ‚Mensch‘, auf sich bedacht,
kann er sich nehmen, was er will
Sein Wachstum steht noch heut nicht still

Er tötet so viel and’re Wesen
und glaubt sich noch von Gott erlesen
In seinen Wald kehrt er zurück
nicht nur als Wand’rer - Stück für Stück

zerstört er, was ihm Heimat war -
nur für sich selbst. Ist ihm nicht klar,
dass er das Lebenshaus zersägt,
das ihn und alles Leben trägt?


Anm.: das gesprochene Gedicht mit Musik und Bildern ist zu finden auf https://youtu.be/35bz-CMj3BM
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Das Faultier

Im Regenwald, im Regenwald,
da hängt im Baum der Willibald
Sieht man die Welt einmal kopfüber,
ist man erfreut und etwas klüger

Man muss nicht immer jagen, hetzen
Man kann auch auf die Ruhe setzen
Probier' es mal mit Langsamkeit,
mit guter Laune, Sparsamkeit

und suche dir ein schönes Plätzchen,
vergiss auch nicht ein liebes Schätzchen
Du bist geschützt bei schlechtem Wetter,
drehst mal den Kopf und frisst die Blätter

Er ist nicht faul, der Willibald,
nur in den Ästen festgekrallt
lebt er so schlicht und ökonomisch,
ganz fröhlich - und ein wenig komisch

Anm.: Faultiere bewohnen die Baumkronen der tropischen Regenwälder von Mittel- und Südamerika. Sie können nicht (mehr) aufrecht auf dem Boden laufen, die meiste Zeit hängen sie kopfüber in den Bäumen. Sie sind Weltmeister im Energiesparen und bewegen sich allenfalls im Zeitlupentempo. Nur einmal pro Woche verlassen sie den Baum, um Kot und Urin abzusetzen und riskieren dabei ihr Leben, da sie sich auf dem Boden schlecht bewegen können. Zum Fressen der Blätter und Knospen müssen sie meist nur den Kopf drehen, aber durch ihre energiearme Nahrung arbeitet ihr Stoffwechsel extrem langsam. Ihre Lebensform ist sehr alt und hat sich bewährt: über 30 Millionen Jahre. Vor ca. 10 000 Jahren starben aber die meisten Faultierarten aus (z.B. das amerikanische Riesenfaultier, das auf dem Boden lebte und bis zu 6 t Körpergewicht aufbrachte), so dass nur noch 6 Arten übrig geblieben sind, die alle in den Baumkronen leben. Die Tiere leben energetisch auf so bescheidenen Niveau - und wirken - und sind es wahrscheinlich auch - so zufrieden und glücklich! Ihr Fell ist übersät von Milben und anderen Insekten - aber sie züchten Motten darin und nähren sich von den Algen, die durch diese mit entstehen. RUHETIERE - statt FAULTIERE - müsste man sie nennen.
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