Gedichte über Natur - Seite 959

Ein Baum wie

Ein Baum wie ein Monument,
das jeder verehrt, aber keiner streichelt.

Ein Hausboot wie eine Arche,
deren Mahnung nicht jeder hören möchte.

Ein Bienchen wie im Sommer,
von dem man weiß, dass es Blüten streichelt.

Ein kleiner Baum wie eine Säule,
an dem die Äpfel wie große Trauben hängen.

Ein Tag wie eine Selbstverständlichkeit
Geschenk und Gnade für dieses eine Erdenleben.

So gleitet mir wieder ein Jahr durch die Sinne
und ummantelt die Lebensstunden freundlich – naturgeleitet.


©Hans Hartmut Karg
2022

*

Ihr blauen Veilchen


Der Himmel hat euch etwas
von seinem schönen Blau gegeben,
das Himmelsblau wird euch
verschönen, erfreuen und beleben.

Eure Farbe ist von fortan,
das schlichte, warme Blau,
ihr liebt den frühen, kühlen,
erfrischenden Morgentau

Sonst sah man euch nur im Frühjahr,
zur kalten, nassen Jahreszeit,
jetzt blüht ihr sogar im Herbst
in froher, ausgelassener Heiterkeit.

Eure Blüten sind so zart und klein,
sie trotzen Regen und Sonnenschein,
ihr seid so genügsam und bescheiden,
deshalb können euch die Menschen
so gut leiden.

Die Menschen ehrten euch schon
im späten, grässlichen Mittelalter,
euch beehren täglich Bienen,
Hummeln und auch Falter.

Sehe ich irgendwo auf dem Lande,
die blauen, herzergreifenden Veilchen,
werde ich im Nu glücklich und froh
und verweile stets ein Weilchen.

Wie schwer
die Blumenköpfe hängen
in nasser Nebellast!

Als wär ich
eine Blume, halten leichte
Gedanken Rast,

die unentwegt
sonst schwirren wie Falter
im Laternenlicht -

Jetzt hängen sie
in neblig Köpfen und ohne
Zuversicht.

Als wär ich
eine Blume, nehm ich die Schwere
einfach hin.

Das Schwere
wie das Leichte - vielleicht hat beides
seinen Sinn!