Gedichte über den Kuss - Seite 28

Still und leise kommt sie in die Stadt,
macht die Straßen weit, endlos und plötzlich nackt.
Sie geht in jedes Haus, fährt in jeden Körper
und legt sich über manchen Geist.

Es gehen Lichter an, draußen geht die Dunkelheit spazieren.
Nirgends ist sie gerne Gast, niemand möcht´ sich mit ihr zieren.
So wird sie vertrieben und bekämpft,
darf nur woanders existieren.

Da schwebt Sorge durch die Nacht, findet keine Ruh.
Wacht über viele hungrige Seelen, hat meist wenig, manchmal viel zu geben.
Still und leise macht sie Angst dem Heimatlosen.
Ihre Freunde sind Frau Kälte und Herr Tod.
Da schmückt sie sich mit Leid, die Nacht.

Es gehen Lichter aus, drinnen ist's wohlig warm.
Zwei Herzen wiegen sich im Arm.
Dort wird sie empfangen, gleichsam besiegt und darf noch länger bleiben.
Da verweilt die Liebe in der Nacht.

Suchende gehüllt in ihre Tücher, wandeln blind und ohne Ziel.
Meist erhoffen sie zu viel.
Sie trägt die Farbe Sehnsucht nun, diese Nacht.

So hat sie endlos viele Gesichter, bietet Raum für Gegensätzlichkeit.
Zieht hässliche Grimassen und möcht´ zum Tage ja nicht passen.
Doch wird in ihr auch sichtbar, was am Tage übersehen werden will.
Sie ist ein ehrlicher Gesell, diese Nacht.

Anfangs völlig leer, splitterfasernackt,
saugt sie auf die Gefühle in der Luft, bekleidet sich mit Schicksalen
und verabschiedet sich manchmal dankbar sanft mit einem Kuss.

Es war nicht Ärger und Verdruss,
die Sache mit dem ersten Kuss.
Das Mädel war so alt wie ich
und zitterte ganz fürchterlich.
Tagelang hatten wir es besprochen,
ich hatte sogar ihre Haare gerochen.

Sie schob sich rückwärts an die Wand,
als ich ergriff nun jede Hand.
Sie traute sich kaum zu rühren,
als würde ich sie dann verführen.
Ich schaute tief in ihre Augen,
ob sie auch meine Blicke saugen.

Die Zunge leckte meine Lippen,
um auf ihren Mund zu stippen,
Ich flüsterte: Ich liebe Dich!
Da stürzte sich ihr Mund auf mich.
Vier Lippen nun ein Chaos machten,
Zungen und Speichel durcheinander brachten.

Wir saugten und leckten,
drückten und streckten,
nach Körperwärme gierten
und ihren Lippenstift verschmierten.
Da es ihr und mir gefiel,
wiederholten wir noch oft das Spiel.

08.10.2021©Wolf-Rüdiger Guthmann

Gibt dir ein Kind ein Küsschen,
denkt es sich nichts dabei,
wippt vergnügt dann mit dem Füßchen,
noch sind Gefühle einerlei.

Küßt dich der Kumpel auf die Wangen,
ist`s ein Gruß zu jeder Zeit,
hat nichts zu tun mit Lieb` Verlangen,
ist ein Traditionsgeleit.

Auch Mutter hat dich einst geküßt,
ein wohlgemeinter Kuss zur Nacht,
zu gern hättest du gewußt,
wie ein Liebchen das wohl macht.

Ein Kuss vom Bruder, ach wie schön,
hat entfacht die zarten Triebe,
wollt sich damit nur versöhn`n,
kann denken dabei an die große Liebe.

Dann kam der Kuss, der dich berührt,
die Gefühle spiel`n verrückt,
der Liebste hat dein Herz verführt,
vom Glück bist du jetzt ganz verzückt.