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Gedichte über den Tag - Seite 236


Die Geisterbahn

Mein Auto war so voller Schmutz,
da fehlte ihm echt ein großer Putz.
Die Tochter sagte: „Ich komme mit,
drinnen sitzen bleiben ist der Hit.“
Ich hab das zwar noch nie probiert,
doch die Neugierde hat uns verführt.
Es kann doch sitzend nichts passieren
und im Sommer wird keiner erfrieren.

Der Kassierer am offenen Hallentor
warnte uns beide noch mal davor.
Doch wie das ist im Lauf des Lebens,
mancher gute Rat ist doch vergebens.
Wir sitzen drin, das Radio schwächelt,
wir winken, der Kassierer lächelt.
Der Gummi quietscht, die Klauen greifen,
das Band ruckt an, die Räder schleifen.

Das Auto wird von starker Hand
jetzt auf die Wasserfahrt gesandt.
Eine Frau mit Hochdruckspritze
bildete des Reinigungsweges Spitze.
Wenn die Räder einmal laufen,
zerquetschen sie manch Hundehaufen.
Doch die Masse sitzt viel und tief
in des Reifens Profil, längs und schief.

Diesen Schmutz und noch viel mehr
weicht sie auf, drum spritzt sie sehr.
Dann kommt fahrtbedingt eine Lücke,
Zeit, dass ich die Scheibenwischer drücke.
Dann hab ich mit dem Eindruck gerungen,
es kämen zwei lumpige Hexen gesprungen.
Stofffetzen, halb schwarz, halb weiß
tanzten erst mal wie wild im Kreis,

donnerten dann gegen alle Scheiben,
um den Schaum recht tief zu treiben.
Sie zischten, wischten, schlugen,
von vorn und von den Seiten lugen.
Und wie es passt zur Feenschar,
viel Wasser überall noch war.
Schaum in Bergen oder Streifen,
Räder, Bürsten, Lumpen schleifen.

Nur nicht einen Schalter stellen,
damit nicht etwa Teile schnellen.
Manchmal sieht man wieder Lichter
oder schemenhaft ganz kurz Gesichter.
Man denkt daher es sinkt ein Kahn,
dabei ist es eine Gespensterbahn.
Die Tochter mit dem großen Munde
saß ganz still in unserer Runde.

Als der letzte Schaum verblüht,
wird noch heißes Wachs gesprüht.
Wieder wird die Sicht versperrt
und der scharfe Blick verzerrt.
Und dann fängt wie ein Orkan
die Trockenwindmaschine an.
Das Auto zittert von dem Wind,
als ob wir kurz vorm Abheben sind.

Die Tochter hält sich krampfhaft fest,
bis uns die Geisterbahn entlässt.
Ein Tor geht auf, das Licht wird hell,
und der Rest geht ziemlich schnell.
Die Türen werden endlich aufgerissen,
der Scheibenwischerschutz in Müll geschmissen.
Das Abwischen der Dichtungsstreifen an der Tür
erfordert Handarbeit noch hier dafür.

Deshalb sollte man mit sich ringen
und ein kleines Trinkgeld bringen.
Das nächste Auto rollt von hinten an
wir geben Gas und fahren dann.
Es war nicht schlimm, auch nicht herrlich,
doch dafür war es ungefährlich.
Aber wollen wir Gespenster sehen,
werden wir auf den Rummel gehen.

22.11.2014 © Wolf-Rüdiger Guthmann
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Zeitvertreib

Damals, als Adenauer gestorben,
habe ich mich als Azubi beworben.
Viel Holz wächst hier auf Erden,
drum wollte ich Tischler werden.
Buche, Birke, Fichte, Kiefernduft,
harzendes Kien erfüllt die Luft.

Der Meister war aus uraltem Holz
und auf seine Innung stolz.
Damit der Morgen nicht den Abend lobe,
stellte er mich lächelnd auf die Probe:
„Berechnen Sie einfach den Rauminhalt
dieser Zündholzschachtel, aber bald!“

Ich blickte längs, ich blickte quer,
diagonal war es genauso schwer.
Beinahe hätt ich es vergessen,
wichtig ist es, erst zu messen.
Entreiße ich nun auf die Schnelle
des Meisters Frau die Schneiderelle?

Oder wird von Heiden und Frommen
der alte Zollstock noch genommen?
Ich kann doch jetzt nicht laufen
und ein Rollbandmaß mir kaufen.
Doch an meines Taschenkalenders Rand
sich eine Zentimetereinteilung befand.

Länge 5, Breite 4 gemessen
und die Höhe 1,5 nicht vergessen.
Soll ich die Zahlen untereinander klieren
und dann alle drei addieren?
Ich ahnte, dass man dann und wann
die Werte auch multiplizieren kann.

Länge mal Breite als Fläche geht
und mal Höhe ein Raum entsteht.
Die Schachtel war zwar einst ein Baum,
aber ist sie deswegen jetzt ein Raum?
Wie ein Würfel hat sie 8 Ecken,
deren Kanten sich in die Länge recken.

Aber die Höhe von dem Schub
ist doch nur ein kurzer Hub.
Soll ich mir die Haare raufen,
gleich zu einem Schlosser laufen?
Dort gibt es für dieses Gemehre
doch die berühmte Schiebelehre.

5 mal 4 rechne ich im Geist,
doch mal 1,5 sich für den Rechenschieber erweist.
Der Meister wird mich loben, das weiß ich,
drum sage ich stolz: „Genau Dreißig!“
„Dreißig Minuten Späne oder Spaß zur Zeit,
jedes Ding hat seine Maßeinheit?“

Will er das Rechnen mir verübeln,
denn jetzt bringt er mich ins Grübeln.
5 Zentimeter mal 4 Zentimeter zum Ergebnis hat
20 Zentimeter zum Quadrat.
Und 20 Quadratzentimeter mal 1,5 Zentimeter,
verflixt, jetzt hab ich den Schwarzen Peter.

Ist die Schachtel nun hochkant gestellt,
laut Rechenschieber der Wert auf 300 schnellt?
„Hochkant ist doch keine Fläche“
Ich so zu mir selber spreche.
Der Meister hört‘ s und lächelt still:
„Er weiß nicht alles, doch er will.“

29.10.2014 © Wolf-Rüdiger Guthmann
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