Drei Worte ...
Ein Gedicht von
Annelie Kelch
Der warme Wind stupst die Blätter der Bäume und Gräser an:
Sie leben auf und schunkeln miteinander …
Von meiner Bank aus zähl' ich die Türme am anderen Ufer:
fünf Recken, die sich zum Himmel strecken …
Der Fluss kommt in Bewegung: ein knallgelbes Ruderboot naht.
17 Mann – nebeneinander zu zweit und auch wie die Orgelpfeifen …
Am Heck steht breitbeinig der Steuermann und schreit Kommandos:
Sie schwirren übers Wasser und erschrecken die kleinen Wellen …
Ein weiteres Boot folgt, tuckert gemächlich vor sich hin:
klein und sehr weiß -; mir kommt die Isetta von 1955 in den Sinn,
Leergewicht 350 Kilogramm.
Dem grünen Riesen gegenüber sitz' ich; er spendet wankelmütige
Schatten der Gegenwart aus Chlorophyll …
Im Aug' die schön geschwungene Trave-Brücke, denk' ich an Praha
(Prag) und an die Moldau – sie mündet in meinen lieben Elbefluss …
Die Weißdornhecke, den kleinen Pfad säumend, ist längst verblüht.
Mir schwirren drei Worte ins Gedächtnis: Daliah* has gone …
Ihr Mann sprach sie am Telefon zu ihrem Manager, nachdem
sie gestorben war. Die Worte besuchen mich tagtäglich; sie gehen
mir nicht mehr aus dem Sinn: Daliah has gone …
Niemand sieht meine Tränen – ich trage die große schwarze
Sonnenbrille. - Kummer macht blind; ich weiß nicht, womit
andere Menschen gedanklich beschäftigt sind …
„Mit Rudern“, säuselt der Wind, „es muss vorangehen, Kind!“
Mein blinder Abendblick schweift übers Wasser: Trave und Moldau
fließen vereint und lächeln mir zu mit Lippen aus Schaum.
Am Ufersaum schaukeln kleine Schiffe zum Lied des Sommers,
und in den Scheiben gegenüberliegender Häuser spiegelt sich
Abendsonne.
Der Grenzbaum fällt Punkt 18:15 Uhr. - Das Kummerschiff legt
an und lässt seinen Anker in mein Herz fallen. Wehmut klettert
über die wild wuchernde Böschung und flüstert mir zu:
„Daliah has gone ...“
* Mit Daliah ist die Schauspielerin und Sängerin Daliah Lavi gemeint
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