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Gedichte zur Umwelt - Seite 9


An die, die nach uns geboren werden

Ich lebe in einer grusligen Zeit, wirklich!

Straßen und Plätze sind leer. Spielplätze und Schulen geschlossen. Wo Kinder einst spielten, flattern meterlange Absperrbänder im Wind.

Was sind das für Zeiten, wo Kinder nicht mehr miteinander spielen dürfen?
Weil ein Virus ausgebrochen ist, der bereits viele Menschen getötet hat.
Der überall lauert, den Freundschaften und Familie nicht interessiert.

Es ist wahr. Ich darf noch durch die Straßen laufen. Aber glaubt mir, ich laufe in Angst.
Kein Restaurant hat geöffnet, kein Café lädt zum Verweilen ein.
Nur mit einer Maske darf ich den Supermarkt betreten, der neben Baumarkt und Apotheke seine Ware anbieten darf. Doch was nützt ein edler Tropfen Wein, wenn man ihn allein trinken muss.
Was nützt ein gesundes Essen, wenn die Einsamkeit krank macht.

Sie sagen: Sei froh, dass du alt bist und deine Rente beziehst.
Aber wie kann ich froh sein, wenn ich weiß, dass mein Sohn seine Arbeitsstelle verliert und die Raten für sein Haus nicht mehr zahlen kann, unverschuldet, um es noch einmal zu erwähnen.
Und doch bin ich alt und beziehe meine Rente jeden Monat.

Ich wäre gern bei ihm eingezogen.
Dann hätte ich meine Miete an ihn gezahlt und er müsste sich jetzt keine Sorgen um sein Haus machen.
Keiner wäre einsam.

Ich lebe in einer grusligen Zeit, wirklich.

Geboren wurde ich, als man vom Osten und Westen sprach.
Die Grenzen waren dicht und eine hohe Mauer zog sich um das kleine Land.
Viren hatten kaum eine Chance, denn das Gesundheitssystem funktionierte gut.
Jeder wurde regelmäßig geimpft.
So lebte ich behütet in meiner kleinen Stadt.

Jeder besaß ein Dach über den Kopf, jeder hatte eine Arbeit.
Meine Oma hatte ein Zimmer in unserer kleinen 3 Raum Wohnung.
Ich war nie allein.
Sie betreute mich am Nachmittag, lehrte mich kochen und Strümpfe stopfen und brachte mir Kartenspiele bei.
So lebte ich behütet in meiner kleinen Stadt.

Doch die Menschen in diesem Land wurden immer unzufriedener.
Im Westen gab es scheinbar alles, im Osten nichts.
Bananen waren eine Rarität, auf ein neues Auto musste man 18 Jahre warten. Das sollte sich ändern.
So lebte ich behütet in meiner kleinen Stadt.

Dann vereinten sich der Osten und der Westen.
Die Mauern wurden eingerissen, die Welt stand uns offen.
Reisen, Pilgern, Auswandern. Nichts war mehr unmöglich.
Selbst Impfungen waren keine Pflicht, auch auf keiner Fernreise.
So lebte ich behütet in meiner kleinen Stadt.

Ihr, die ihr nach uns geboren werdet, übt euch im Verzichten.
Krankheiten wird es immer geben. Doch Luxus, der uns untergehen ließ, ist überflüssig. Die Weltmeere brauchen Erholung. Eine Reise zum Mond ist nicht notwendig, wenn wir uns auf der Erde bewegen dürfen.
Zu Unrecht drangen wir in die Regenwälder ein, zerstörten die grüne Lunge unseres Planeten.
Für Luxus, auf den wir gut und gern hätten verzichten können.
Es ist schwer etwas zu verändern, woran man tagtäglich gewöhnt ist.
Ihr aber, wenn es soweit sein wird, beginnt am ersten Tag
übt euch im Verzichten.

Copyright © 2020 Elisa Schorn
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