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Gedichte über das Internet - Seite 26


Zulenkung

Aus der grellen Bilderapp da winkt ein Beitrag frech heraus.
Er erinnert mich mit stolzer Weisheit pflichtbewusst daran
Dass ja “nur wer immer alles gibt sein Ziel erreichen kann”
Und geheime Toilettendaddler arm und einsam sterben
Oder gar zu Kunden dieser ominösen Seiten werden.
Solch Gedanken sind mir, wenn auch wohl bekannt, ein bitterer Graus!

Wer will sich von blinkender Zerstreuung schon versklaven lassen,
Nach Verwirrung ohne Ende lechzen und nichts anderes kennen
Als niemals rasten, ewig rennen, im Bilderschwalle Zeit verbrennen?
Einem Hammer gleicht mein Geist, keiner Leinwand, ich will lenken,
Deshalb möchte ich mit festem Griff beherrschen mein Denken.
Rasch werf ich hinweg das Füllhorn fremder Ideen, um eigene zu fassen.

Frisch setz ich mich wieder an den Schreibtisch, auf ihm endlose Daten.
Artig mach ich mich ans Werk, produktiv, nützlich, nett zu sein,
Tippe wild und blind die leeren Zeichen ins Lichtpapier hinein,
Lass nicht locker, will beweisen: unermüdlich ist meine Hand.
Wie der Reiter zähmt sein Pferd, so führe ich den hektischen Verstand.
Sinn und Nutzen stiften seine Werke meinen Tagen und Taten.

Wenn du mehr sein willst als eine von tausend stummen Tippmaschinen
Musst du mehr vollbringen als jedes Tarifgespenst im Großraumbüro.
Denn wer folgt hat auch Erfolg, was sonst macht einen denn noch froh?
Ich will niemals still stehen und häng mich täglich heftig rein
Das beste Zahnrad im glühenden Profitgetriebe will ich sein,
Bis sich alles um mich dreht und alle anderen mir dienen.

Fleißig brummt das Handy im Hintergrund, die Verführung ist präsent,
Doch ich bleibe eisern bei der Stange, gönn mir keine Auszeiten.
Ich quäle mich durch jedes Formular, statt schnell mal rumzuswipen,
Wissend, dass Aufschiebung letztlich doch nur wieder zum Schuften führt
Und dass man nur nach getaner Arbeit letzlich Erlösung verspürt
Wenn am Abend endlich die Finger ruhen und das Hirn wegpennt.

Fast ein kleiner Haufen ist bald schon getan nach etwas Plagen,
Bin wohlig warm erfüllt vom guten Gefühl, dass meine knappen Stunden
Nicht in schlaffer Muse sondern hartem Schuften sind entschwunden.
Als Held der Arbeit, jeder Faulheit erhaben, entspann ich meine Glieder,
Falle in den Stuhl und schöpfe Kraft und lege die Stifte nieder
Um mich zu belohnen und bald mit doppeltem Eifer zuzuschlagen.

Bald schon rennen mir hinfort die rastlos-suchenden Gedanken,
Kreisen umher wie verschreckte Vögel, leicht und flüchtig wie Luft
Nicht zu fassen, kaum zu kriegen, denn beim Anblick sind sie schon verpufft.
Ratten jag ich blutverschmiert durchs Unterholz aus Schall und Schatten
Doch die wahre Beute, die bin ich, schon ging es vonstatten
Dass ich E-Mails checkend in die Falle tappe, in Schlingen von Blumenranken.



Kaum noch wehre ich mich, entflieh dem engen Griff der Gedankenmühlen.
Mein Geist will sich nicht vor fremder Herren Wagen spannen lassen,
Weigert sich vehement, seine eigene Unstetigkeit zu hassen
Und verfällt dem giftig-süßen Nektar von unzähligen Reizen
Welche ihn in Bilderstürme locken um ihn zu verheizen,
Sanft erstickt von angenehmen Lügen und künstlichen Gefühlen.

Traumwelten sind das Ziel der Flucht hinaus dem Reich der Uhr.
Ich such Oasen in der Wüste der Produktivität.
Trunken macht die Muse mich, nach kurzer Pause ist es schon zu spät -
Wo auch immer mein Hirn der Boden ist, nicht Pflug, dort will es sein,
Stopft sich deshalb Tonnen leeren Inhalts freudig glucksend hinein.
Sind die Zügel locker einmal nur, da verlässt es schon die Spur!

Der Körper sitzt hier im Büro, im Dienste von Konglomeraten,
Doch alle Fesseln sind gelöst, der Geist fliegt durch die Lichterwelt.
Wie die Nacht durch Sternenglitzern wird sie von Geschichten erhellt.
Jede hilft der Flucht, führt auf neue Pfade mit ihrem Bilderfluss
Damit ich weiter nicht tun muss, was ich will, weil ich es muss.
Eine aber schaut streng, mahnt und richtet über meine Taten:

Aus der grellen Bilderapp da winkt ein Beitrag frech heraus.
Er erinnert mich mit stolzer Weisheit pflichtbewusst daran
Dass ja “nur wer immer alles gibt sein Ziel erreichen kann”
Und geheime Toilettendaddler arm und einsam sterben
Oder gar zu Kunden dieser ominösen Seiten werden.
Solch Gedanken sind mir, wenn auch wohl bekannt, ein bitterer Graus! -
Verdammt, ich muss mal wieder raus

Aus dem Wahn zu erreichen was andere mir zum Ziele setzen.
Aus der Sucht mich zu vergleichen und mich durch den Tag zu hetzen.
Aus der Welt endloser Inspiration die meine Stimme übertönt.
Aus dem Sog von Optimierungsobsession der mein Leben verhöhnt.

Es ist Zeit loszulassen.
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Im Rampenlicht vor Gericht

Ich stehe im Rampenlicht
Doch leider auch vor Gericht
Nicht das der drei Gewalten
Denn diese gehören zu den Alten
Und wurden schon längst ersetzt
Durch das virtuell gesponnene Netz
Dies geschah schon vor geraumer Zeit
Seit das social media machte sich breit

Ich gebe zu Volksgericht gab es schon früher
Und so mancher Skandalaufrührer
Was auch manche Kräuterkundlerin mitbekam
Als man sie auf den Scheiterhaufen mitnahm
Aber damals war es lokaler
Heute ist es viel globaler
Früher zog man in eine andere Stadt
Hatte man die Anschuldigungen satt
Und konnte ein neues Leben beginnen
Heute würde es nichts mehr bringen
Kann man im Internet die Anklagen sehen
Außer man würde in autoritäre Staaten gehen
Aber geratest du dann in die Zensur
Fehlt dort von dir gleich jede Spur
Also ist das auch nicht wirklich das Wahre
Also was tun, damit ich meinen Ruf bewahre

Vielleicht sich von social media distanzieren
Und dort keine Aussagen mehr platzieren
Aber das ist leichter gesagt und gedacht
Denn in so mancher durchzechten Nacht
Spricht man lallend und ein wenig verrückt
Da wird schon mal schnell das Handy gezückt
und ein Film gemacht und hochgeladen
Und die Leute können dich dann jagen

Überall wird künstlich echauffiert
Du wirst als Hassobjekt zentriert
Und egal, was du nachher tust
Die Leute empfinden eine Lust
Auch jedes andere Handeln zu verurteilen
Ist es auch nur das Haltestellenverweilen
Denn sie sind ohne Fehl und Tadel
Ein wahrlich von gottgesandter Adel

Wenn du dich doch einmal wehrst
Und den Spieß einmal umkehrst
Davon ist leider abzuraten
Nimm gleich einen Spaten
Und schaufel dir dein eigenes Grab
Denn sie geben sich dann als Opfer ab
Und sprechen von verletzten Gefühlen
Dabei ist bei den meisten, na ja vielen
So ein empfinden nicht vorhanden

Du wirst auch keinen Erfolg landen
Wenn du sachlich argumentierst
Weil du gleich darauf verlierst
Sie rutschen schnell ins Emotionale ab
Und nehme deine Worte als Papperlapapp
Wenn sie überhaupt darauf eingehen
Meistens lassen sie deine Worte stehen
beleidigen, beschuldigen oder heulen rum
irgendwann wird es dir daraufhin zu dumm
und beendest diese festsitzenden Sachen
wie es die vernünftigen Menschen machen
Die anderen interpretieren jedoch hinein
Einen Sieg und trinken des Siegeswein

Wann kommt die Moral im Gedicht?
Die gibt es leider diesmal nicht
Sonst stünde ich nicht im Rampenlicht
Und vor dem social media Gericht
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