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Gedichte über Aufklärung / Erklärung - Seite 226


Lied des Autarken

Lied des Autarken

Man hört von überall her sagen,
der Mensch sei nicht sein eigener Herr
und kann kein eigenes Leben wagen,
wo nicht Gesellung und Verkehr.

Wie oft hat er schon hören müssen,
er wäre nichts, als ein Bastard,
bekannt zwar Herkunft und auch Name,
doch Fremder an des Lebens Bindung.

Ja, er war nie ein Autonomer,
denn er floh niemals den Aufgaben,
die als Autarken auch ihn suchen –
trotz der Ausstattung mit viel Freiheit.

Haltepunkte und Autorität
erwehren sich Jemeinigkeiten.
Da musste er autark schon werden,
das eigene Wesen zu bereichern!

Früh spürt' er das Verlorensein,
doch auch die Chancen unseres Seins,
der Tatsache wohl eingedenk,
dass frühe Liebe er erfahren.

Eltern, Verwandte haben ihn
zärtlich in sein Leben begleitet.
Noch heute sind der Ahnen Augen
die Lichtbereiter seines Lebens.

Er wuchs daher langsam heran,
erspürte die Herkunftsfremdheit,
die offen und freiheitsgeboren,
doch ungreifbar ihm sicher auch.

Die Minderwertigkeit lebt heute noch
mit dem Gefühl, wertvoll zu sein:
In Kleinstädten sind Hierarchien
oft drückender, als auf dem Land...

Rostbahnen war'n sein Versteck,
als er im Kindhiersein gebunden.
Wassergefüllte Bombentrichter
Sind Spielplätze der frühen Tage.

Das alles konnte nicht so bleiben,
Die Achsenzeit brachte viel Hunger:
Er spürt' die Armut seiner Herkunft
Jetzt umso mehr in weiteren Tagen...

Schon damals sind ihm Seilschaften
der Hinterwäldler sehr suspekt,
weil wieder schlimme Allianzen
Herrschaft ganz übergriffig bauen.

So schwört' er der Gefolgschaft ab,
die doch nur hindern ihn am Werden
auf Suche nach gebundener Freiheit,
die der Autarke sehnlichst braucht.

Heut bringt das Suchen weg vom Fremdsein
ihn zur Entdeckung zweier Räume,
die nicht im Plan der Herkunft liegen,
weil sie aus Urthymie gestiegen...

Die Erstentdeckung ist Musik,
sind Lieder, die Gemüter prägen,
die ihn bereichern, wenn die Mutter
mit ihm und den Geschwistern singt.

Hinzu kommen noch jene Lieder,
die Schreckenslasten von ihm nehmen:
Nie wieder soll man Kriege führen
mit diesem Lied: „Maikäfer flieg',...“

Er kauft sich von Alteisengeld
die Fahrradteile und die Geige.
Das ist sein Beitrag für die Welt:
„Schwerter werden zu Pflugscharen!“

Die Zweitentdeckung ist die Sprache,
mit der er reicher sich erst fühlt,
befreit sie ihn doch von Traglasten
des Freumdseins und dem Minderen.

Er liest sie alle, die Karl May,
entdeckt früh alte Philosophen,
wenig Romane, doch Gedichte
in ihrer Schönheit, den Botschaften.

Mehr und mehr wird ihm dabei klar,
dass Sprache Heimat werden kann,
wenn Irritationen auch zunehmen,
wo Unvernunft Suchpfade öffnet.

Er spürt, wie notwendig ihm ist,
auch weiter freiheitlich zu bleiben,
so wie vielleicht der alte Karg,
der wurde schließlich auch autark...

Nun erst gewinnt er eine Frau,
mit der Verständnis möglich wird:
Schönheit und Bildungsgröße
sind Tageslaunen nicht geschuldet.

Mozart schafft ihm die Harmonien,
mit denen sein Gemüt ertieft,
ihm bringt die tongegebene Heimat,
die früh er schon verloren glaubte.

Und auch Petrarcas ferne Laura
gerät ihm früh zur Offenbarung,
denn da entdeckt' er jene Bindung,
ohne Autarksein nicht sein kann.

Recht früh wird ihm die Dichtkunst
zu einem Eigenschöpferhaus,
weil es ihm dabei oft gelungen,
Seinsgründe für sich zu entdecken.

Gegen die Niederung der Herkunft
Und Armut seiner frühen Jahre
schafft er mit Sprache nun ein Werk,
um dessen Mut man ihn beneidet.

So ist es immer mit dem Dichter:
Die einen wollen ihn verstehen,
die anderen nur Fehler sehen –
und wenigen erschließt er sich...


©Hans Hartmut Karg
2020

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