Hühnerleiterprozesse
©Hans Hartmut Karg
2018
Da sitzen Menschen eng beieinander
Und Gruppendynamik breitet sich aus.
Menschen erleben ihre Nahtoderfahrung,
Immerzu werden Hierarchien erstellt –
Auch von Etikettierern und Stigmatisierern.
Wer darf auf der Hühnerleiter ganz oben sein,
Wen will man immerzu ganz unten sehen?
Man wird ja heimlich beobachtend bleiben,
Und zusehen, wen man nach unten zieht.
In der Spitze beobachtet man nur das Gute
Und überhöht es durch schwärmendes Urteil!
Und Urteiltraditionen wirken da nach:
Jeder Dicke bleibt von vornherein ekelhaft,
Jeder Schlanke akzeptabel und wunderbar!
So verstärkt man des einen Lebensgeschick,
Beim anderen vermehrt man sein Lebensleid.
Ist das noch tragende Nächstenliebe,
Ist das noch im Sinne des Schöpfers?
Den Obenstehenden fragt man nach Plänen,
Was er erlebt, Großartiges vollbracht.
Vom Untenliegenden will man nur wissen,
Wie krank er ist, was ihn scheitern ließ.
Hühnerleitern und Dauerschubladen
Entstehen, in die man jederzeit einordnen kann,
Wen man wo haben und zertifiziert wissen will,
Egal, ob der dies mag oder nicht.
Man kann so seine Urteile ständig verbreiten
Und sagen, wer am Pranger und wer im Himmel.
Da bewegen Nahtoderfahrungen die Leidenden,
Es entsteht im Nahraum ein tradierfähiges,
Jederzeit abrufbares Lobbild oder Ärgernis,
Mit dem man die Menschenwürde beehren,
Mit dem man sie gleichwohl erschlagen kann.
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