Wo de Ostseewellen trecken an den Strand
Ein Gedicht von
Heinz Säring
Zum Gedenken an Martha Müller-Grählert
"Wo de Ostseewellen trecken an den Strand",
dieses schrieb die Frau, die uns fast unbekannt,
"Wo die Möwen schriegen, grell in't Stormgebrus
da is mine Heimat, da bün ick tau Hus"
Fast ein jeder kennt's mit etwas and'rem Text,
und das Hochdeutsch ist nicht soo verkehrt zunächst,
aber Ost- und Nordsee sind nur leicht verwandt, -
und mit Nordseewellen ist es weltbekannt.
Dieses Lied, da steckt ja so viel Seele drin,
ich gedenk der Frau, weil ich erschüttert bin.
Sie verstarb in Armut und in bitt'rer Not,
heut vor einundsiebzig Jahren kam der Tod.*
Kindheit, Jugend hatte sie in Zingst verbracht,
nachdem sie in Barth die Augen aufgemacht,
wurde Pädagogin, konnt privat erziehn,
und mit zweiundzwanzig ging sie nach Berlin.
Und es war auch hier in dieser fremden Stadt,
wo sie "Meine Heimat" einst gedichtet hat.
Dann kam bald die Heirat mit 'nem großen Mann, -
der kam als Professor gut in Japan an.
Aber neunzehnhundertvierzehn war es aus,
und mit großer Mühe mussten sie nach Haus.
Sie geriet in Armut, als die Ehe brach,
suchte sich zu halten nur mit Weh und Ach.
Ihr Gedicht, das war inzwischen sehr bekannt.
Ein Geselle trug es bis ins Schweizer Land.
Dirigent, ein Krannig, Simon sucht es aus,
macht für'n Männerchor ein schönes Lied daraus.
Ein Verleger, der verstand aus guten Sachen
mit Geschäftssinn nur für sich viel Geld zu machen.
Aber die Poetin stand für sich allein,
und sie leitet ohn' Erfolg Prozesse ein.
Hat Gesundheit nicht und keine Kraft geschont,
doch sie guckte immer wieder in den Mond.
Schließlich sechsunddreißig hat sie's doch geschafft,
aber sie war ganz am Ende ihrer Kraft.
Sie war einsam, krank und völlig abgehetzt,
starb im Altersheim in Franzburg dann zuletzt.
Auf dem Grab in Zingst steht nun ihr letzter Gruß:
"Hier is meine Heimat, hier bin ick tau Hus."
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*) Martha Müller-Grählert (20.12.1876 - 18. 11. 1939)
wurden zusammen mit dem Komponisten Simon Kannig1936 nach jahrelangen Kämpfen endlich die Urheberrechte zu dem Ostseewellen-Lied zugesprochen, aber sie hatte keinen materiellen Nutzen mehr davon; ehe das Urteil wirksam wurde,
musste sie - arm und fast erblindet - aus dem Leben scheiden.
Wo de Ostseewellen trecken
an den Strand
Originaltext von Martha Müller-Grählert:
Wo de Ostseewellen trecken an den Strand
wo de geele Ginster bleuht in´n Dünensand
Wo de Möwen schriegen, grell in´t Stormgebrus
da is mine Heimat, da bün ick tau Hus
Well- und Wogenrunschen, Wir min Weigenlied,
Un de hogen Dünen, Seg´n min Kinnertied,
Seg´n uch mine Sehnsucht, Un min heit Begehr,
In de Welt tau fleigen Öwer Land un Meer.
Woll het mi dat Leben Dit Verlangen stillt,
Het mi allens geben, Wat min Herz erfüllt,
Allens is verswunden, Wat mi quält un drew,
Hev nu Frieden funden, Doch de Sehnsucht blew.
Sehnsucht na dat lütte, Stille Inselland,
Wo de Wellen trecken An den witten Strand,
Wo de Möwen schriegen Grell in´t Stormgebrus, -
Denn da is min Heimat, Da bün ick tau Hus.
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