Treppen

Ein Gedicht von Wolf-Rüdiger Guthmann
Ein altes Schloss ward einst gesprengt,
manch Bauteil als Erinnerung verschenkt.
Und auch mich fragte ein staubiger Knabe,
was ich für einen Wunsch denn habe.

Doch er zog bald eine elende Fleppe,
als ich ihm sagte: „Eine schöne Treppe!“
„Wir haben hohe Pfeiler, runde Bogen,
Schlusssteine und Kapitel vorgezogen.“

Da musste ich ihm erst einmal sagen,
dank Treppen kann man den Eintritt wagen.
Bevor einer mit der Tür ins Haus fällt,
ihn hier schon die erste Stufe hält.

Sehen Treppen oft auch hässlich aus,
manche bekommen ein eignes Haus.
Oder sie trotzen bei Wind und Sturm
samt Glockenstuhl in einem Turm.

Drum sind die Türme auch nicht fett,
ich denke da an manches Minarett.
Baulich ist auch meist festgelegt,
ob es rechtsrum oder linksrum geht.

Treppen in den obersten Stock steigen
oder sich in den tiefen Keller neigen.
Je nach Stolz, Architekt oder Kapital
sind sie aus Holz, Beton oder Stahl.

Sie sind gerade, eckig, geschwungen
und manchmal auch etwas misslungen.
Die Stufen sind oft angeschlagen,
vom vielen Müll und Möbel tragen.

Spannend ist das Treppenlicht,
mal brennt es und mal brennt es nicht.
Die Treppe soll kein Spielplatz sein,
doch laden oft die Stufen dazu ein.

Für manchen Besucher ist hier Schluss,
zum Abschied gibt es einen Kuss.
Für andere Dinge außerdem
ist eine Treppe unbequem.

In die Prager Botschaft einst viele liefen
und dort auf der Treppe schliefen.
Für weite Röcke mit Schleierschleppe,
gibt es immer noch die Freitreppe.

Dort schreitet man ganz feierlich,
nur stolpern wäre weinerlich.
Sollte jemand der Länge lang fallen,
hört man es im Hause schallen.

In Brüssel sind sie ganz beliebt,
die Feuertreppen, die es gibt.
Architektur, mühevoll aufgebaut,
wird durch den Brandschutz oft versaut.

Stufen sind glatt oder durchstochen,
manche durch den Holzwurm gebrochen.
Die Treppe lebt, sie quietscht und knarrt,
weil auch sie auf gute Pflege harrt.

Die Treppe macht es nicht allein,
da muss auch ein Geländer sein.
Ein Handlauf mit senkrechten Streben,
ein schönes Kinderspielzeug eben.

Das kleine Köpfchen hindurch gesteckt
und nimmermehr heraus getreckt.
Die Feuerwehr muss dann mit Kraft
den Kopf erretten aus der Haft.

Die Schreie lockten in großem Maße
viele Nachbarn auf die Straße.
Selbst König Ludwig und der Alte Fritz
kannten schon den Treppenwitz.

Wenn eine Frau die Treppe putzt,
mancher Mann die Aussicht nutzt.
Wenn er zu viel Frechheit bringt,
ihm oft der Scheuerlappen winkt.

Damit die Frau das gleiche spürt,
hat man den Hausmann eingeführt.
Emanzen fordern von Stock zu Stock
den Hausmann auch im kurzen Rock.

Doch die Treppe hat Konkurrenz,
nicht jeder springt wie einst im Lenz.
Neuerdings gibt es zur Genüge
für alle Kranken die Treppenaufzüge.

Der 11-Stufenrosenkranz im Kloster
stottert wie der fehlende Paternoster.
Sogar für Fische gibt es Treppen,
weil sie so viele Schuppen schleppen.

Der Inspizient mit dem Steigbaum
saß meist im Theaterfreiraum.
Studenten auf der Treppe zu Sacre Coeur
bilden für Touristen jetzt das Nadelöhr.

Nur mich hat es hinauf getrieben,
das hat der Doktor mir verschrieben.
Egal, was ihr mit Treppen macht,
gebt bitte auf die Kinder Acht.

28.01.2015 © Wolf-Rüdiger Guthmann

Informationen zum Gedicht: Treppen

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17.03.2016
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