In den Zwölften

Ein Gedicht von Jürgen Wagner
Wenn Stürme über Felder jagen
und Eiswind fegt durch Wald und Haus,
in solchen harten Wintertagen
sah man der Götter wilder Braus

Da starben manche arme Seelen,
ob Mann, ob Frau, ob kleines Kind
Und wie die Fragen einen quälen,
auf die man keine Antwort find't!

Einst war ein Bauer ausgefahren
und fuhr in Eiseskält' nach Haus
mit drei Sack Mehl auf seinem Wagen
Im Sturm hielt er den Weg g'radaus

Die Luft war voll Gebell und Heulen
Frau Frigg, die kam ihm in den Sinn
In seiner Angst tat er sich beugen,
warf all sein Mehl ihr'n Hunden hin

Und die, die haben es gefressen:
der Wind nahm alles, alles mit
Zuhause gab’s nichts mehr zu essen
Doch keiner zeigte, was er litt

"Sind deine Säcke leer geworden,"
so sprach zu ihm die Ehefrau,
"wirf sie hinaus mit deinen Sorgen!"
Er tat es. Und am Morgen, schau,

da standen sie gefüllt am Hause!
Welch Staunen über dieses Glück!
"Nimmt dir die Göttin was im Brause,
gibt sie's dem Bittenden zurück!"

Nach einer Raunachtssage. In den rauen Winterstürmen sah man den Wodan und seine Frau mit ihren Totenseelen und Begleittieren durch die Lande ziehen. Sie nahmen so manchen mit, der dieser Kälte nicht standhalten konnte oder zu wenig zu essen hatte. Man fürchtete die Götter, aber man wusste auch, dass sie die Ordnung aufrecht erhielten.

Informationen zum Gedicht: In den Zwölften

257 mal gelesen
(Es hat bisher keiner das Gedicht bewertet)
-
10.09.2023
Das Gedicht darf unter Angabe des Autoren (Jürgen Wagner) für private Zwecke frei verwendet werden. Hier kommerzielle Anfrage stellen.
Anzeige