Flügge
Ein Gedicht von
Eva Pietsch
Flügge wirst Du, Paradiesvogelkind.
Das heißt, Du wechselst demnächst das Gefieder.
Es heißt auch, dass Erwachsene jetzt anstrengend sind.
Sorge dich nicht! Das gibt sich auch wieder.
Wann immer Elternworte stören,
ist jeweils der Beschluss zu fassen:
Ist‘s angezeigt, auf sie zu hören,
oder es doch sein zu lassen?
Die Phase stärkerer Opposition
gegen der Altvögel Erziehungsmaßnahmen
ist wahrscheinlich eine Situation,
in die auch schon Küken vor Dir kamen.
Du könntest auch Deine Eltern fragen.
Haben sie nie alte Regeln gebrochen?
Ließen sie selbst sich alles sagen,
oder haben sie womöglich mal widersprochen?
Mindestens ein Elternteil von ihnen
scheint wahrhaft prädestiniert,
Dir im Widersprechen als Vorbild zu dienen
und darin, wie man Dispute führt.
Übe Dich im Widerspruch-wagen.
An Deinen Eltern kannst Du sicher üben,
weil sie in guten wie schlechten Tagen
Dich, ihr Küken, bedingungslos lieben.
Es ist wichtig, den Eltern beizubringen,
man zwitschert nicht ewig mit ihnen im Chor.
Man muss in der Lage sein, solo zu singen.
Das kommt in den besten Nestern vor.
Das Kükenwachstum bringt auch zwangsläufig mit sich,
dass es gelegentlich eng wird im Nest.
Freiraum fordern zu müssen ist nicht immer witzig,
doch etwas, das sich nicht vermeiden lässt.
Den Horizont hinterm nächsten Hügel
sieht man am besten von hoch oben.
Es ist an der Zeit, Du Junggeflügel,
Deine Schwingen zu erproben.
Spürst Du einmal der Schwerkraft Last
und dass Sturm Dir entgegenweht,
vergiss nie, dass Du Flügel hast
und die Welt Dir offen steht!
Schüttle kraftvoll Dein Prachtgefieder!
Lass Dich von einem Fehlstart nicht unterkriegen!
Probier es geduldig wieder und wieder!
Sei sicher, Hannes, Du kannst fliegen.
Offen steht Dir trotzdem immer
im familiären Herkunftsnest
Dein gutes altes Kinderzimmer,
wann immer Du Dich sehen lässt.
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