Blicke weiten sich
Ein Gedicht von
Marie Mehrfeld
nun, da Dämmerung diesen Tag besiegen will,
hocken rhythmisch zuckende vorvorgestrige
Gedankenfetzen auf dem Fenstersims, und sie
bejammern die wandernde Zeit; jetzt nicht die
Ohren schließen, sich nicht dem Sog der alten
Weisen entziehen, die dich ernährten in deiner
Traurigkeit, als du Kind warst; ja du musst den
Raben die roten Verbände von den Schnäbeln
lösen, dass sie reden von dem, was war, und du
lauschst ihnen angstfrei und fängst mit deinem
weißen Nachtkleid den vollen Mond auf, der die
Blutspuren der Gräber ausleuchten will, die den
Totenacker überschwemmen, auf dass jeder sehe,
was da war vor nicht zu langer Zeit; hier liege ich
schlaflos mit weit geöffneten Augen und lausche
dem winselnd um den Kirchenturm kreiselnden
Sturm, der sich selbst versenkt im Nass des auf
gewühlten Mutterbodens - an einem namenlosen
regennassen Sommerabend; Blicke weiten sich
für neue Wege, die mich tragen werden an Orte,
deren Melodien und Farben mich heilen wollen
© M.M.
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