Ertasten im Kasten
(Auf Wunsch für viele Unbekannte,
von denen niemand einen Namen nannte.)
Schuhkartons und Zigarrenkisten
oftmals ein leeres Dasein fristen.
Uns Kindern früher in West und Ost
wurden sie zu Kaufladen und Post.
Heute können die Kinder kaum laufen,
da muss alles teures Spielzeug kaufen.
Leere Verpackung und haltbare Kisten
sich trotzdem noch irgendwo einnisten.
Es gibt Sehbehinderte, die nichts sehen
und trotzdem gut durchs Leben gehen.
Sie wollen nicht jammern und rasten,
sondern hören, riechen, fühlen, tasten.
So wie sie die Brailleschrift nennen,
sie auch jeden Gegenstand erkennen.
Was nutzlos in den Schränken gammelt,
haben wir drum in den Kästen gesammelt.
Da sind Nagelknipser oder –feilen,
scharfe Plasteringe zum Apfel teilen,
kleine Gardinenclips mit Plasterollen
und Stopper, die sie bremsen sollen.
Dehnbare Gummiringe aller Größen,
für den BH Kärtchen mit Haken und Ösen.
Offene Schuhcreme darf nicht sein,
sonst wird man im Nu zum Schwein.
Seltsame Aufsätze für Bartrasierer,
Frauen sind da oft die Verlierer.
Steine, Tannenzapfen, Gummitiere,
selbst Eiswürfel damit man friere.
Radiergummis und Kopf vom Fisch,
Backenzähne, noch ganz frisch.
Leere Patronen, Kabelenden,
alles tastbar mit den Händen.
Pfeffer, Puder, Weizenmehle,
nur ein Löffel voll, keine Fuder.
Auch Obst, Gemüse, Pflanzensamen,
oft erschreckte es die Damen,
denn es griff doch Groß und Klein
neugierig ins Dunkle rein.
Werbefiguren aus alten Tagen
oder Briefmarken in der Kiste lagen.
Und ich sage es ganz ehrlich,
lebende Tiere sind gefährlich.
Selbst die Maikäfer Krabbelschar
erschreckte alle, sonderbar.
Man kann mit spitzen Fingern tasten
oder schätzen das Gewicht der Lasten.
Wir haben eine lange Liste,
denn jeder erhält eine andere Kiste.
Denkt nicht, ihr findet es heraus,
es ist nicht leicht, probiert es aus.
Damit niemand schummeln kann,
löscht das Licht, und nun fangt an.
15.05.2017 © W.R.Guthmann