Gedichte über Fantasie - Seite 390

Die Zikade

Die laut zirpende Zikade
Kam herein kerzengerade
Aus dem Bade voller Pomade,
Die hing ihr von der Kinnlade.

Dann aß sie die Marmelade,
Blau gefärbt, wie die Kornrade,
Rezitierte die Ballade
Über die arme Made –
Von Erhardts Gnade.

Doch die singende Zikade
Wollte sein aus eigener Gnade,
Und so lief ihr die Pomade
Zum Mund, gemischt mit Marmelade
Tropfte zum Zeh und auch zur Wade,
Wo es ein Schneckenhaus belade,
Der Schneck' lahm und in Scharade
Weitertrug die Mischfassade.

Da besann sich die Zikade
Auf ihr Spiel ganz ohne Pomade
Zirpend schön, ohn' Marmelade –
Alles andere wäre fade.



©Hans Hartmut Karg
2021

*

Es darf gelacht werden

Freudlos und bekümmert
läuft oft
der Mensch den langen Tag umher
Bis
dass die Sonne
blutrot untergeht
und nahtlos hin
zur Nacht sich dreht
Einige Sorgen
lassen das Herz
verhalten schlagen
Jedoch die Nacht sie fängt
dich gütig auf
mit jedem neuen Atemzug
Die Nacht
sie schläft auch neben dir
Nimmt deine Zweifel voll in Kauf


© Käte Micka

Käti Micka

Als ich neulich ein Foto fand,
pinnte ich es an die Wand.
Es zeigte mir ein Mädchen fein,
doch mir fiel kein Name ein.
Ich hab im Sessel nur gehockt,
den Namen dem Gehirn entlockt.

Das Mädel war mir zwar bekannt,
dich sein Name einst entschwand.
Ich las die Tageszeitungsanzeigen,
ob ein Name mir zu Eigen.
Ob Geburt, Begräbnis, Suchen, Verkauf,
doch kein Name fiel mir auf.

Um zu enden diesen Fluch,
kaufte ich ein Namenbuch.
Da drin lese ich nun Tag und Nacht,
ob sich Bekanntes bemerkbar macht.

Inzwischen las ich intensiv,
wie man Anne bis Sabine rief.

Und ich hoffe irgendwann
lange ich bei Zarah an.
Dann habe ich mich lange geschunden
und den Namen auf dem Foto gefunden.

14.01.2022©Wolf-Rüdiger