Zeit der Wende oder Das vergessene Buch

Ein Gedicht von Peter Ebinger
Wann kommt der Tag, wieder durchzuatmen?
Hochwasser, Dürren, Smog und Artensterben
sind real, aber jetzt sind wir mehr fokussiert
auf einen territorialen Krieg, der hier passiert.
Als Hüter von universellen Menschenrechten
unterstützen wir jene, die sie mit verfechten,
die Aufrechten in ihrem Kampf mit Todesmut,
denn für uns, die Freie Welt, geben sie ihr Blut.
Pathetische Worte, wie schwere kantige Steine
für ein weiteres Denkmal, ein Haus der Gebeine.

Die Dunkelheit weicht kaum am Morgen, in blattlosen Wäldern
herumstreunendes Vieh, und zwischen grau-staubigen Feldern
schlängelt sich ein trockenes Flussbett voller süßlichem Geruch.
Im Wind raschelnde Seiten von einem im Sande liegenden Buch,
ansonsten Stille, kein Laut, kein Amsel- oder Nachtigall Gesang.
Dann, über dieses trostlose Land, weht immer lauter der Klang
eines Zuges, ein rhythmisches Rattern endlos gereihter Wagen
vollbesetzt mit Menschen die in die aufgehende Sonne fahren.
Man hört ein Sprachgewirr der alten Welt, Lachen und Singen,
'Ein besseres Leben in diesem neuen Land wird euch gelingen'
ist groß auf die bunten Seitenwände der Wagons geschrieben.
Die Minister und Senatoren sind lieber zu Hause geblieben.
Was auch mitfährt bei dem Transport sind große Behälter
aus Guss, gefüllt mit Fässern, teils kaputt und schon älter,
darauf leuchten gelb-schwarz-runde Gefahrgut-Symbole.
Nostalgie kommt auf, denn die Lokomotive fährt mit Kohle.

Überm Reichstagsgebäude weht zusätzlich das Sternenbanner,
mehrsprachig hallet es durch die Gänge, und es ist kein Jammer
für die Politiker/innen, das Menschen, ganze Familien, Obdachlose
in Zelten und Karton-Häuschen einige Straßen weiter aus der Dose
ihre kargen Mahlzeiten essen, eben weil sie das nicht sehen wollen.
Der uniformierte Heimatschutz wäscht von Hauswänden die Parolen
der aufgelösten Friedens- und Klimaprotest-Bewegungen routiniert.
Erst ignorierte man sie, dann wurden sie observiert, später infiltriert,
eine Tiefsee-Pipeline explodierte, so waren sie subversiv und extrem.
Die Gesellschaft konnte oder wollte nie diese 'Auflehnung' verstehen
und war mit harten Bestrafungen - medial befeuert - einverstanden.
So reisen in dem dampfenden Zug auch viele unfreiwillige Probanden
für das 'bessere Leben', und da Sibirien endlich mit angeschlossen ist,
dauert die Fahrt. Solche 'Unruhestifter' werden von keinem vermisst.
Die neue Reichstagsflagge? Verarmte Länder friedlich zu übernehmen
war das Ziel- die Frage von Abhängigkeiten ist vielleicht zu erwähnen.

Warum sind Krieg, Gesellschaft und Klima hier, teils fiktiv, vermischt?
Gewalt ist für Menschen wohl etwas, das für Konflikte eine Lösung ist
und jenes Pathos am Textanfang ist auch bei uns wieder laut zu hören,
um die Nationen auf einen 'gemeinsamen Kampfgeist' einzuschwören.
Die Zeit meiner Kindheit und Jugend, sie nannte sich "Kalter Krieg",
und wir fürchteten, ein Ausbruch wäre das Ende - für alle, ohne Sieg.
Es gab sie noch, die Wehrpflicht, allgemein für uns als junge Männer,
wurde die Verweigerung anerkannt, der Ersatzdienst dauerte länger.
Es gab Demos gegen Umweltverschmutzung und alle Nuklearwaffen,
den Pazifismus mit seiner Forderung, Kriege gänzlich abzuschaffen.

Der Staat reagierte darauf mit teils harter, einschüchternder Gewalt,
Knüppel zum Schutz einer Realpolitik, gegen den Schutz vom Wald.
Kritisch laut, das sind wir nicht mehr, eine Wohlstandsgeneration,
und am Ende der Wirtschaftswunderzeit schleichen wir uns davon.
Aufrufe weniger für Frieden oder für mehr Umweltschutz, das stört,
denn sie seien inhaltlich realitätsfremd und sogar einfach unerhört.
Auf spektakulären Konferenzen, im Plenum, bei öffentlichen Foren
bemerken Führende einsichtig, man hätte wohl etwas Zeit verloren,
die aber drängt, die Initiative bei globalen Problemen zu ergreifen -
im 'Kampf der Systeme' geht es, bei der Erde lässt man's schleifen.

So befahren wir weiter diesen Malstrom in schlingernden Booten,
mit voller Kraft, nach zwei für unsere Politik wichtigen Geboten,
nicht Kriegspartei zu sein und diesen Widerspruch zu negieren.
So ist internationales Konfliktengagement voll zu akzeptieren.
Siegeswille - unsere Rüstungsindustrie läuft an und produziert -
wird forciert, die Öffentlichkeit bleibt strategisch uninformiert
über das Grauen, Verluste, es braucht den Gewinn von Gelände,
immer mehr und noch stärkere Waffen für ein siegreiches Ende,
für die Freiheit...ach Europa, Freiheit hat diesen so hohen Wert,
wenn man sie auch Abgehängten, Armen und Fremden gewährt.

Die Zeitenwende - nun wird eine neue Weltordnung geschrieben,
und zerstörte Natur können wir nicht wieder in Ordnung kriegen,
weil das nicht möglich ist. Sie wird zu einem 'Sicherheitsproblem'
mit Toten vor überfüllten Auffanglagern - mein Leben ist bequem,
ich bin gleichgültig, ein Zuschauer. Doch diese Welt gerät in Brand,
ein die Sorgen der Jugend, die Not Flüchtender abtuendes 'Vaterland'
rüstet wieder auf, wird autoritärer. Ich höre all die süffisanten Reden
der Berufspolitik, die Bürger, die sich protestierend selbst festkleben,
kriminalisiert, verfolgt, inhaftieren lässt und zu Staatsfeinden macht.
Fehlt noch jener Volksvertreter, der neben Flutopfern steht und lacht.

Krieg, den jede Partei gewinnen 'muss', ist an Toten und Leid so teuer,
ist ein sich immer wieder selbst gebärendes, Blut saufendes Ungeheuer.
Und ein tauber Staatenbund, stumme Völker, Regierungen aus Blinden
sind unfähig, einen 'gemeinsamen Kampfgeist' für Naturerhalt finden.
Als Anfang einen Schritt zurücktreten, Verzicht üben ist keine Option
für eine so moralische, so mächtige, turbokapitalistische Zivilisation,
in deren Zukunft obszön reiche Leute und Multikonzerne investieren,
um, obwohl nicht gewählt, durch Einfluss Demokratien zu 'regieren'.
Was wird in den folgenden Generationen über unsere Zeit geschrieben?
Jenes oben erwähnte, vergessene Buch - der Titel ist "Herr der Fliegen".


























© Peter Ebinger

Informationen zum Gedicht: Zeit der Wende oder Das vergessene Buch

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14.05.2023
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