wechselbad der gefühle

Ein Gedicht von Lothar Schwalm
Gefühle tauchen auf
Gefühle tauchen ab
ich tauche ein
in Gefühlsbäder, Wechselbäder
die Tage, in denen du im Koma liegst,
gehen vorüber, langsam, aber stetig,
der Herbst hat Einzug gehalten
wird dein Auszug bald kommen?
ich weiß es nicht
Nachrichten voller Hoffnung erreichen mich,
bevor die Hoffnung bald wieder versickert,
unzureichende Informationen lassen mich
mehr hoffen als bangen,
dein Leben in gottes Hand,
balanciert auf den Waagschalen des Lebens,
Tage zwischen Leben und Tod
und ich weiß mal wieder nicht,
was ich dir wünschen soll:
ein Leben ohne Atmung, ohne Zukunft,
ohne Pinsel, Selbstbestimmung,
Mitteilung, Glück und Freude,
eben nur noch ein Überleben
an Maschinen und Apparaten,
oder einen gnadevollen Tod
mit der Gewissheit und Zuversicht,
dass du in den letzten sechs Monaten
dein Leben leben konntest,
wie nie zuvor,
mit all den Eindrücken,
Farben, Gerüchen, Wegen,
Menschen, Melodien und Früchten,
die du immer mochtest,
die du so geliebt hast,
und mit der Freude darüber,
dass du Werner wieder sehen kannst,
für immer bei ihm bleiben kannst,
Werner, den du all die Jahre zuvor
so vermisst hast,
jetzt seid ihr wieder zusammen
schweift als Zwillingssterne
Nacht für Nacht durch den Himmel
und wacht über uns,
passt auf, dass uns kein Unglück ereilt,
dieser Gedanke hat etwas sehr tröstliches,
macht dein Fortgehen wieder gut,
versöhnt mich mit meinen Gefühlen
von Schmerz und Traurigkeit,
Wut und Verzweiflung,
mit Gefühlen von Einsamkeit,
von Allein sein und Verlassen werden,
von Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit,
von Wehmut und Sehnsucht
nach Geborgenheit und Liebe,
nach angenommen sein und Anerkennung

In den Tagen zwischen Leben und Tod
und auch jetzt nach deinem Fortgehen
erlebe ich ein wechselbad der Gefühle,
eine Zeit zwischen Alltag und Ausnahmezustand,
nichts ist mehr, wie es vorher war,
und es wird auch nie mehr so sein
vielleicht ist auch das etwas Gutes,
es kann nie mehr so sein wie vorher,
dafür warst du einfach zu bedeutend für mich,
mit deinem Fortgehen ist Veränderung gekommen
und bettelt hartnäckig um Einlass
in mein Leben,
ein Leben, dass ich erst wieder sortieren muss,
in das ich mich einfinden muss, in dem ich mich
erst wieder zurecht finden muss,
alles durcheinander,
ineinander, übereinander, auseinander,
wie nach einem Tornado,
der keinen Stein auf dem anderen stehen lässt,
die Moleküle und Gefühle werden neu gemischt,
sieh zu, wie du damit zurecht kommst

Noch sehe ich keinen Sinn darin,
aber ich versuche, mein neues Leben anzunehmen,
mit allem, was im Moment dazu gehört:
mit Tränen und Traurigkeit,
mit ganz viel Trost, aber auch Trostlosigkeit,
mit Verzweiflung und Verwunderung,
mit Verbitterung und Verwundung,
aber auch mit Trauen und Vertrauen,
mit Liebe, Hoffnung und Glück,
mit Demut und Dankbarkeit,
mit Freude und Faszination,
mit Glaube und der Gewissheit,
dass ich dich nie verlieren werde,
dass du immer bei mir sein wirst,
gehe ich in mein weiteres Leben
und nehme dieses wechselbad der Gefühle
als das, was es ist:
eine neue Lebenserfahrung…


ls221009

Informationen zum Gedicht: wechselbad der gefühle

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27.07.2011
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