Selber alt geworden.

Ein Gedicht von Christine Biermann
Wurde früher einer Achtzig den man kannte,
Freunde, Nachbarn oder Verwandte
war es eine höfliche Pflicht,
zu gratulieren, mehr war es nicht.
Da hielt man in der Hand ein Päckchen Kekse und Kaffee für die Küche, sagte auf die edlen Sprüche,
wie gut er war im Werte,
wie man ihn schätzte und verehrte.
Man wünschte ihm das Lied vom langen Leben
wollte ihm mehr Zeit und Zuwendung geben,
zu der man so jung nicht war imstande
das eigene Alter noch ganz am Rande.
Dem Himmel sei Dank,
dass meine Eltern die Achtzig überschritten,
da war meine Liebe zu ihnen und mein stilles Bitten,
für sie noch lange zu sorgen,
denn als sie starben,
fühlte ich mich „alt geworden.“
Als sie gegangen sind,
war ich nicht mehr das Kind.
Ich rückte nach an Jahren,
die Zeit verging immer schneller, älter und älter wurde das eigene Gebaren
Ein Glück, ich habe meinen Mann,
der liebevoller nicht mit mir umgehen kann,
als er an meiner Wenigkeit hängt,
jeder Tag, der neue, uns umarmend umfängt.
Das meiste, höchste und schönste, was mich bewegte im Leben,
hat mir die Familie gegeben.
Mehr als dieses Glück hab ich nie verlangt
nur um den Erhalt gebangt,
der fragil wie Glas zerbrechen könnte,
von einem zum anderen Momente.
Zum hohen Alter möchte ich sagen,
dass sich einige schon weit über die Achtzig wagen
rege und beweglich im Geiste,
auf dass jeder für sich leiste,
was noch seine Kräfte bringen,
Lebenslust vor allen Dingen,
und Dankbarkeit für das lange Leben,
das mir und meinem Mann gegeben.
Und unseren lieben Zeitgenossen,
die positiv und unverdrossen aufhören zu sinnieren,
und warten auf Dinge, die noch passieren.
Ich kann es nicht glauben,
dass ich nun zu meinem eigenen 80. Geburtstag gehe,
zu meiner geliebten Familie in der Nähe,
möglichst fern von daheim und den Gratulanten, den Blumen, dem Rampenlicht,
denn vorne zu stehen, das liegt mir nicht.
Da mein Jahrgang katholisch registriert,
was dem Klerus auffallen wird,
kann es sein, dass ein Abgesandter sehr engagiert mit Bibelsprüchen gratuliert,
erst wieder geht nach Kaffee, Kuchen und Gottes Segen,
das wäre zwar ehrenwert, käme aber ungelegen.
Liebe Kinder und Enkel: Ich bin bescheiden, aber auch vermessen,
man möge mich gernhaben,- und nicht vergessen:
die einzige Gabe ist meine Liebe zu euch, ganz ehrlich;
diese Tiefe der Gefühle ist für mich unentbehrlich.
Bleiben wir glücklich mit uns und heiter,
ein bisschen gehs auch nach Achtzig noch weiter.

Informationen zum Gedicht: Selber alt geworden.

16.661 mal gelesen
6
10.05.2022
Das Gedicht darf unter Angabe des Autoren (Christine Biermann) für private Zwecke frei verwendet werden. Hier kommerzielle Anfrage stellen.
Anzeige