Meine Muse (für Heinrich Böll)

Ein Gedicht von Annelie Kelch
Meine Muse ist der barmherzige Traum,
darin der Himmel auf Erden gelebt wird.
Meine Muse ist das erträgliche Leben
nach dem Erwachen aus einem bösen Traum.

Meine Muse ist tot: der Dichter aus Portland,
der die Nacht herbeiflehte,
zu dem die Bäume sprachen;
meine Muse ruht in russischer Krume,
unter der wilden Friedhofserdbeere.
Ich las, wie alt sie geworden war und
dass sie 'Marina' hieß.

Meine Muse ist die Schwarzafrikanerin mit den
Rasterzöpfen an der Kasse im Multistore.
Wenn ich bezahle, fragt sie mich:
Brauchen Sie auch den Kassenbon?
Manchmal finde ich, dass sie schöner ist
als die anderen.

Meine Muse ist der Obdachlose, dessen Gesicht
ich nie sah, weil er es stets in den Händen
verborgen hielt.

Meine Muse ist der Mönch mit dem langen Bart
und der schwarzen Kutte. Sein Mund flüstert
mir zu: Hüte das innere Feuer; wer sich nicht
wandelt, erstickt; Friede sei mit dir, Friede ...

Informationen zum Gedicht: Meine Muse (für Heinrich Böll)

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12.02.2017
Das Gedicht darf weder kopiert noch veröffentlicht werden.
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