freier Fall
Ein Gedicht von
Marie Mehrfeld
nach dem
zwölften Schlag
des Mitternachtsgeläuts
ist Stille in mir für ein, zwei
Sekunden, und die alte Zeit fällt
über mich wie ein schwarz gewebtes
Tuch; wie wir da saßen mit heilen Gliedern
und kranken Seelen inmitten unserer inneren
Wüsten unter kerzenlos schütterem Christbaum,
wie traurig künstlich das Lachen, tonlose Singen,
nachdem es ruhig geworden war an allen Himmeln
und die rote Glut in äußeren und inneren Trümmern
endgültig erloschen schien; und man übertünchte
die letzten schwelenden Feuer mit falschem Kalk
und sang mit zitternden Stimmen die alten Lieder
der Zuversicht und Vergebung und verschluckte
Unaussprechliches für immer in der Hoffnung
auf Heilung; schlaflos träumend befinde ich
mich immer wieder im freien Fall und
vertraue darauf, dass du mich auf-
fängst mit der tröstenden Liebe,
auf die ich mich verlasse
auf dem letzten Flug
ins Ungewisse
©M.M.
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