Die Tücke mit der Lücke

Ein Gedicht von Marie Mehrfeld
Das Einkaufsnetz, von Oma selbst gehäkelt, es ist stabil und hält,
an dem wird nichts bemäkelt. Ganz ohne Ösen und auch Laschen passt es in alle Hosentaschen. Du nutzt es schon seit dreißig Jahren und willst es sorgsam aufbewahren.
Viel besser ist’s als Plastiktüten, drum wirst du’s pingelig behüten.
Es hält, da wag ich jede Wette, nach jenem Urgesetz der Kette:

Zwar ist da nichts als Loch an Loch - und es hält doch.
Das Omanetz erklärt dein Leben. Nichts lief perfekt. So war es eben.
Das ist des Menschen Daseins Tücke. Hier half dir stets - der Mut zur Lücke.
In deinen Schränken gibt es Kleidungsstücke, die du nicht magst.
Was du beklagst. So manches, das du einstmals heiß begehrt, es stand dir nie.

Drum ist es nicht verkehrt, wenn du dir wünschst, ganz frei von Ironie,
sie kämen dir alsbald abhanden. Als erstes fragst du die Verwandten.
Sie winken müde ab und sagen, den ollen Kram woll’n wir nicht tragen.
Du kannst die Sammelwut besiegen, wenn du das ungeliebte Zeug in große Tüten
packst und hin zum Roten Kreuz nun schaffst.

Und nach vollbrachter Tat, da stehst du vor halb leerem Schrank und seufzt
erleichtert - Gott sei Dank. Und denkst, o Wunder, jetzt hast du Platz für neuen
Plunder, du klopfst dir stolz an deine Brust nach dieser scheinbar guten Tat
und hältst ein Eigenlob parat. Wie sehr du deinen Nächsten liebst,
wenn du ihm so was Tolles gibst!

Doch hast du’s eigentlich gewusst, nun heuchle nicht, du seiest gekränkt.
Viel eher solltest du’s bejammern - ein Teil nur landet in den Kammern, wird
an Bedürftige verschenkt. Hier geht’s wie meistens in der Welt doch nur um Geld.
Denn was passiert mit unsren eh’mals teuren Sachen?

Die edlen Stücke werden bald schon second hand gehandelt.
Die schlechten durch den Wolf gedreht in Garn verwandelt. Es geht
hier um’s Geschäftemachen. Nein, da gibt’s wirklich nichts zu lachen.
Denn wieder wird betrogen und gedealt. Der Rubel rollt, es wird auf Zeit gespielt.

Der Rest der abgelegten Kleider landet in Hungerländern, leider.
Und wieder Händler sich ins Fäustchen lachen, die sich nicht schämen,
selbst mit den Ärmsten dieser Welt noch ein Geschäft zu machen. Doch kennst
du auch die wahre Ironie? Ich weiß, du hast davon gehört:
Textile Industrie vor Ort wird so zerstört.

Nun sag mir bitte, wo bleibt deine Ethik? Kannst du dich wirklich
schmücken mit dieser Art von Garderobenlücken?
Und wo bleibt schließlich die Ästhetik?
Sah’n sie nicht schöner aus in herkömmlichen
Gewändern – als in dem Ramsch aus unsren Ländern?

Ich will’s beklagen, möglichst laut:
Fühl mich nicht wohl in meiner Wohlstandshaut.









©M.M.

Informationen zum Gedicht: Die Tücke mit der Lücke

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04.07.2021
Das Gedicht darf unter Angabe des Autoren (Marie Mehrfeld) für private Zwecke frei verwendet werden. Hier kommerzielle Anfrage stellen.
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