Der Stuhl

Ein Gedicht von Wolf-Rüdiger Guthmann
Säge Axt Leim Zwinge Winkel Hammer LiebeZum Tischler sagte ich ganz cool:
„Ich bringe hier nur einen Stuhl!“
Der Meister mich gleich unterbrach
und zornig zu mir Neuling sprach:
„Ich höre immer nur, nur, nur.
Das ist eine ganz dumme Tour.
Der einfache Stuhl aus hartem Holz
ist eines jeden Tischlers Stolz.

Wissen sie denn, lieber Mann,
was mit dem Stuhl man alles kann?
Er hat vier Beine, einen Sitz und Lehne,
was ich gerne jetzt erwähne.
Man kann ihn kaufen, stehlen, schenken lassen
oder auf dem Sperrmüll fassen.
Ein Stuhl ist roh, gebeizt, lackiert, gestrichen,
wobei die Farbe oft verblichen.

Man kann drauf sitzen, knien, liegen oder steh’ n,
meist nach allen Seiten seh’ n.
Viele, die mit ihm kippeln und wippen,
oftmals auf den Rücken kippen.
Bei einem Bein kann man etwas unterlegen
oder drei Beine kürzer sägen.
Er lässt sich tragen, schieben, greifen, packen,
letztlich mit der Axt zerhacken.

Man kann ihn sogar balancieren,
was gerne die Clowns vorführen.
Wird man von Feinden gehetzt,
bekommt man ihn vor die Tür gesetzt.
Hält ihn Leim nicht mehr zusammen,
müssen Schraubzwingen ihn rammen.
Und den weißen Holzkaltleim
findet man fast in jedem Heim.

Stuhlwinkel darf man dann schrauben,
wenn die Stärken es erlauben.
Mit dem richtigen Hammer
nutzt man Nagel, Keil und Klammer.
Die Frauen dürfen Stuhl Hussen nähen
oder sich auf passenden Kissen drehen.
Gepolstert wird seine Sitzplatte,
wenn er Schiefer oder Löcher hatte.

Ohne Filz werden die Stuhlbeine wie Katzen
jeden Fußboden hauchdünn zerkratzen.
Zerfallen darunter langsam die Dielen,
kann man sich schnell mal auf der Erde sielen.
Auf den Sitz darf man keine nassen Schwämme legen
oder gar am Stuhl Bein sägen.
Kinderstühle sind als Eisenbahn oder Bus
ein singender Weltreisehochgenuß.

Mit Stühlen kann man große Kirchen füllen
und manchen Sitzplatzwunsch stillen.
An jedem Stuhl ist eine Lehne dran,
damit man sich entspannen kann.
Früher war sie handgeschnitzt,
damit man auch recht grade sitzt.
Jeder braucht ihn von München bis Suhl
und da sagen sie, es ist nur ein Stuhl!“

10.12.2016 © W.R.Guthmann

Informationen zum Gedicht: Der Stuhl

2.997 mal gelesen
(Eine Person hat das Gedicht bewertet. Der Durchschnitt beträgt 5,0 von 5 Sternen)
-
09.12.2016
Das Gedicht darf nur mit einer Erlaubnis des Autoren kopiert oder veröffentlicht werden. Jetzt Anfrage stellen.
Anzeige