Das letzte Einhorn

Ein Gedicht von Rebecca Perko
Es war einmal eine magische Quelle,
aus welcher Zauber und Reichtum floss.
Über das Land ergoss sich ihre Welle
und Leben blühte und spross.
Es sprudelte an Wundern, sie wurden zu Sagen.
In Teichen nahmen Satyre und Greife ihr Bad,
Flüsse umkreisten die Füße der Riesen
und speisten Nixenseen und bunte Feenbewohnte Wiesen.
Fabelwesen, viele Arten folgten der Wasseradern Pfad,
bis die Gewässer einem nicht löschbaren Feuer erlagen.

Des Einhorns Ohren hörten den ersten Klang
des leisen Plätscherns vom Untergang.

Es war einmal ein Funke, der dem Bösen entsprang
und in die heilige Quelle gelang.
Die einst vor Frieden glatte Fläche
brach, wilde Bäche strebten nach einem Hauch von Sieg,
um nicht zu versiegen, in einem lang währenden Krieg.
Die Hitze wuchs und an Größe gewann
und schleichend das Wasser verschlang.
Ein schwarzer Brand entstand.
Ein neues Zeitalter begann.
Aus den Dämpfen ging hervor eine giftige Nebelwand,
die tausende Opfer fand und das Leben schwand.

Des Einhorns Zunge der Rinnsal Reste leckte
und die Kost von Gift und Rost schmeckte.

Es waren einmal Ungeheuer,
die selig trampelten im Höllenfeuer,
welches ersetzte die Flammen der Drachen.
Die ermordeten letzten Landeswachen
landeten in der Höllenhunde Mägen, welche vor Gier und Hunger brannten.
Durch verseuchten Nebel geboren,
hatten sie jeglichen Verstand verloren.
Die Monster sich selbst Monster nannten
und benebelt an ihr Handeln glaubten,
bedenkenlos die Welt ausraubten.
Sie waren in der Überzahl,
hinterließen ein Wüstenland, trocken und kahl.

Des Einhorns Schnauze roch,
wie totes Fleisch und Haar auf Wüstenboden koch.

Es war einmal ein Einhorn,
ihre Seele heilig, blitzend, klar,
wie das einstige Wasser war.
Sie befand sich in Gefangenschaft.
Zu lang hatte sie im Dunkeln gelitten,
sie sammelte ihre letzte Kraft
und richtete ihr Horn zielgerichtet nach vorn,
gegen die Gittertüren stach,
das heiße Eisen krachte, zerbrach.
Sie überwand die Tore mit mutigen Schritten.
Ihr Horn schimmerte im Tagesschein,
welches niemand mehr erkannte,
sehen ließ sichs nur mit Herzen gut und rein.

Und sie rannte.
Wollte zurück zur erloschenen Heimat kehren,
sich gegen des Monsters Leine wehren.
Sie rannte mit Stolz und stählernen Willen.
Hinter ihr ein lautes Beben.
Wollte nicht den Hunger der Ungeheuer stillen,
nicht Fleisch, Haut und Knochen an sie geben.
Sie rannte, sie wollte leben.
Die Monster immer näher drangen.
Ihr Herz begann vor Furcht zu bangen,
überall nur Staub und Schmutz,
weit und breit keines Baumes Schutz.
Des Ungeheuers Schritte immer lauter stampften.
Sie war Sekunden frei.
Die Monster schossen.
Der dürre Boden dankbar trank,
Ihr Blut, welches in die rote, tote Quelle sank.
Ihr Körper füllte sich mit Blei,
ihre Tränen in der Glut verdampften.
Sie träumte einen Traum von ihrem Heimatwald und seinen letzten Baum,
Sie träumte wie das Meer um ihre Füße und die ihrer Herde schäumte.

Des Einhorns Augen sich für immer schlossen.

Eines der Monster brummte: „Verdammte Schweine!“,
fesselte die Leichenbeine,
zerrte die Sau mit einer Leine
zurück zur Schlachthalle.
Und wenn die Monster nicht gesättigt sind,
dann tappen noch heute Einhorn, Schwein, Frau und Kind
in ihre überfüllte Falle.

Das Märchen ist noch nicht am Ende, denn es ist keine Legende.

© Rebecca Tamara Perko, 2022

Informationen zum Gedicht: Das letzte Einhorn

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29.12.2022
Das Gedicht darf unter Angabe des Autoren (Rebecca Perko) für private und kommerzielle Zwecke frei verwendet werden.
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