Zehn kleine Staatsbürgerlein

Ein Gedicht von Dietmar Geister
entstanden 1976 in der DDR


Zehn kleine Staatsbürgerlein
haben Rosa Luxemburg gelesen.
Einer hat d’rüber nachgedacht,
da sind es nur noch neun gewesen.

Neun kleine Staatsbürgerlein
haben über einen Witz gelacht.
Einer ist verpfiffen worden,
da war’n es nur noch acht.

Acht kleine Staatsbürgerlein
haben eine Resolution geschrieben.
Einer hat sie abgeschickt,
da war’n sie nur noch sieben.

Sieben kleine Staatsbürgerlein,
die kauften sich Ferienschecks.
Einer versuchte sein Glück an der Grenze,
da war’n es nur noch sechs.

Sechs kleine Staatsbürgerlein
haben sich die Verfassung durchgelesen.
Einer hat sich berufen darauf,
da sind es nur noch fünf gewesen.

Fünf kleine Staatsbürgerlein
standen im Laden nach Brot und Bier.
Einer schimpfte, weil’s nichts mehr gab,
da war’n es nur noch vier.

Vier kleine Staatsbürgerlein
sangen verbotene Lieder.
Einer sang wohl etwas laut,
den sahen die ander’n nicht wieder.

Drei kleine Staatsbürgerlein,
die lasen die Satzung der UNO.
Einer, der berief sich darauf,
da waren es im nu zwo.

Zwei kleine Staatsbürgerlein,
die wunderten sich, was hier geschah.
Einer fragte nach den anderen Acht,
schon war er auch nicht mehr da.

Ein kleines Staatsbürgerlein,
das ging mit sich selbst zu Rate.
Es begriff, nur wer mit den Wölfen heult,
der kommt zu etwas im Staate.

Informationen zum Gedicht: Zehn kleine Staatsbürgerlein

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30.07.2019
Das Gedicht darf unter Angabe des Autoren (Dietmar Geister) für private Zwecke frei verwendet werden. Hier kommerzielle Anfrage stellen.
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