Zichorie
Es war vor langer, allzu langer Zeit,
in einem Land, das gar nicht weit.
Prinzessin Zichorie war hübsch und klug,
küsste ihren neuen Freund Zug um Zug.
Sie wollte ihm gerade ihre Unschuld geben,
da meldete sich das wahre Leben.
Der Herold blies, denn Krieg brach aus,
ihr Freund musste ins Feld hinaus.
Er käme bald wieder zu der Jahresfrist,
zu der dann überall auch Frieden ist.
Käm er als Held dann wieder her,
bliebe sie auch keine Jungfrau mehr.
„Was wir als Friedensbotschaft senden,
wird mit vielen Kindern enden.“
Zichorie winkte ihm lange hinterher,
denn der Abschied fiel ihr schwer.
Für den schönen Fall aller Fälle
rührte sie sich nicht von der Stelle.
Unentwegt flossen ihre weißen Tränen,
so groß war ihr Schauen und Sehnen.
Weil sie neben dem Weg verharrte,
nannten alle sie „Prinzessin Wegwarte“.
Rundherum saßen wie ein Ring
die Mädchen, denen es genauso ging.
Dort, wo jede täglich weinend saß,
war stets das Gras vor Liebe nass.
Laut Sage waren Jahre vergangen,
bis alle mit dem Tode rangen.
Die Prinzessin der Tod als letzte nahm,
leer das Haus, als der Freund heim kam.
Er hörte nur von dem seltsamen Ring,
den er fand, als er zu der Straße ging.
Er kniete nieder, weinte fluchend,
dabei die Erinnerungen suchend.
Ein Keim, von vielen umringt,
nicht nur Magie, auch Hoffnung bringt.
Wo seine Tränen auf Keime flossen,
diese zu blauen Blumen sprossen.
Blütenblätter, lang und schmal,
dazu noch in großer Zahl.
Nur der Keim, der in der Mitte ragte,
sich als weiße Unschuld wagte.
Der Freund sich eine Neue nahm
und so zu vielen Kindern kam.
Man wollte die Wegwarte ergründen,
tat Blüten, Blätter, Wurzeln schinden.
Getrocknet, geschnitten, fermentiert, getaucht,
als Tabak in der Pfeife geraucht.
Die Wurzel wurde geröstet und gemahlen
und ersetzte die Kaffeebohnenschalen.
Doch niemand ist richtig Erfolg beschieden,
haben wir denn schon überall Frieden?
14.08.2013 © Wolf-Rüdiger Guthmann