Fünf Adventskränze - sind vier zuviel!

Ein Gedicht von Helga
Vater ist ein strenger und sparsamer Mensch.
Deshalb verfügt er auch in diesem Jahr, dass es keinen Adventskranz gibt . Der bald darauffolgende Weihnachtsbaum muss reichen. Außerdem fehlt auch der Platz auf dem Tisch. Denn wo sonst, als dort, soll er seine schriftlichen Arbeiten erledigen. Von der zusätzlichen Brandgefahr ganz zu schweigen, und ein Staubfänger ist er obendrein.
Meine Geschwister und ich, sowie Mutter, die zwar meistens zustimmt, was ihr Mann sagt, melden diesmal heftigen Protest an.
Vorschläge zur Plazierung des Kranzes werden in den Raum geworfen.
Trotz Erinnerungen und Ritual; Vater läßt sich nicht erweichen. Er bleibt bei seinem " Nein".
Der Adventssonntag naht.
Am Samstag davor, kommt es so, wie es kommen muß.
Wir Kinder haben heimlich, und zwar jeder für sich und je nach Taschengeld-Budget einen mehr oder weniger großen Adventskranz gekauft. Dass Mutter nun auch noch ein Monstrum von Kranz ins Zimmer schleppt, hatten wir nicht erwartet.
Verdutzt blicken wir einander an. Ein Schmunzeln können wir uns nicht verkneifen. Denn jeder von uns hält einen eigenen Adventskranz in den Händen.
Und Vater? Prasselt nun das große Donnerwetter über uns herein?
Mit den Worten, er wolle ja kein Spielverderber sein, holt er einen kleinen Kranz hinter seinem Rücken hervor. Wie alle anderen Familienmitglieder hat auch er heimlich einen aus der Stadt mitgebracht. Eigentlich nur so zum Abgewöhnen, wie er beiläufig verlauten läßt.
Beim Anblick so vieler Adventskränze kann niemand mehr ernst bleiben.
Aber nun stellt sich die Frage: wohin mit all den Kränzen?
Zurückbringen können wir sie nicht, aber alle behalten - auch nicht!
Utensilien zum Schmücken sind zwar reichlich vorhanden, aber brauchen wir so viele Kränze?
Plötzlich sind dann aber alle dabei, ihren Adventskranz nach eigenen Vorstellungen zu dekorieren. Schon nach kurzer Zeit sind wir im Besitz von fünf festlich bunt geschmückten Adventskränzen.
Aber nur einen können wir behalten. Was also tun mit den übrigen vier?
Jeder von uns offeriert seine Vorschläge. Viele Varianten sind vertreten. Aber niemand kann sich so richtig für eine Lösung entscheiden.
Da wirft Mutter die Redensart
- wer viel hat, der gebe dem anderen was ab -
in die Runde. Kurzes Überlegen, dann sind sich alle einig: wir verschenken die Kränze an diejenigen, die keinen haben oder sich keinen leisten können. Dieser Vorschlag stößt auf Begeisterung. Fragen wir doch gleich mal im Haus nach, schlägt das Nesthäkchen unter uns vor.
Die alte Frau Schulz in der Dachwohnung über uns. Sie hat sicher nicht viel Geld, um sich einen Kranz leisten zu können.
Auch unsere unmittelbaren Nachbarn, die Krügers, sind erst vor kurzem hier eingezogen und haben deswegen eine Menge Ausgaben. Ein Kranz würde sie sicher erfreuen.
Dann sind da noch Herr und Frau Baumann von gegenüber. Erst kürzlich ist Herr Baumann in Rente gegangen. Wie wir aus einem Gespräch mit ihm erfahren haben, fällt seine Rente nicht gerade üppig aus. Da liegen Sonderausgaben nicht drin. Mit unserem Kranz bereiten wir den beiden bestimmt eine Freude.
Im Erdgeschoß wohnt eine junge, alleinerziehende Mutter mit zwei kleinen Kindern. Sicherlich ist auch bei ihr die Haushaltskasse nicht prall gefüllt. Da ist eine vorweihnachtliche Aufmerksamkeit sicher willkommen.
Gesagt, getan. Wir gehen also mit unseren Adventskränzen hausieren. Die anfänglichen Bedenken, man könnte es als Almosen auffassen, verfliegen im Nu. Es wird ein Nachmittag, der noch Stunden danach im Gedächtnis haften bleibt.
Frau Schulz ist so gerührt, dass ihr ein paar Tränen über die Wangen rollen. Es gibt in unserer Zeit doch noch gute Menschen mit viel Nächstenliebe, meint sie.
Familie Krüger lädt uns am Sonntag zum Kaffee ein, und das Rentner-Ehepaar drückt uns eine Dose mit selbst gebackenen Keksen in die Hände.
Selbst die beiden kleinen Kinder aus dem Erdgeschoss bedenken uns mit etwas, was sie im Kindergarten gebastelt haben.
Vor Verlegenheit steckt uns allen ein Kloß in der Kehle. Der Rest des Nachmittages vergeht mit Schweigen. Erst beim Abendessen löst sich der Bann.
Wir freuen uns, dass wir mit unserer ungewollten Anhäufung von Adventskränzen anderen Menschen ein Freude bereiten konnten, und beschließen, im nächsten Jahr wieder fünf Adventskränze zu kaufen.

Informationen zum Gedicht: Fünf Adventskränze - sind vier zuviel!

274 mal gelesen
(Eine Person hat das Gedicht bewertet. Der Durchschnitt beträgt 1,0 von 5 Sternen)
1
02.12.2019
Das Gedicht darf nur mit einer Erlaubnis des Autoren kopiert oder veröffentlicht werden. Jetzt Anfrage stellen.
Anzeige