Doppelte Moral - I gitt !
....Der Mensch hat, Faust hat´s schon gewusst,
zwei Seelen, ach, in seiner Brust,
die gute nämlich und die schlechte,
die führen heftige Gefechte.
Wer dabei stärker ist, wer schlapp,
hängt oft genug vom Zufall ab.
Nach außen wirkt der Mensch tipp topp,
doch häufig tut er nur, als ob.
Denn innerlich gleicht er im Grunde
viel eher einem Schweinehunde.
Den meisten ist der Tatbestand
als doppelte Moral bekannt.
....Fühlt sich der Mensch beobachtet,
erscheint er liebenswert und nett,
als Unschuldslamm und Tugendschwengel,
der weder Laster kennt noch Mängel.
Das Gute ist sein höchster Wert,
wie er voll Überschwang erklärt;
sie trüge ihren Lohn in sich,
behauptet er geflissentlich.
Man müsse auch, hört man ihn reden,
Betrug und Heuchelei befehden.
Er brauche weder Dank noch Lohn,
sei sein Prinzip seit jeher schon.
....Wer´s hört, hat Mühe, es zu fassen,
und möchte fast vor Neid erblassen,
weil er trotz aller seiner Kraft
es nie in solche Höhen schafft.
Doch bei der Probe aufs Exempel
zerfällt der edle Tugendtempel.
Die Szene hinter den Kulissen
wirkt eher wüst und abgerissen.
Schaut nämlich einmal keiner zu,
zerbröckelt die Moral im Nu.
....Der Mensch versucht, an Nachbars Kirschen,
ist dieser weg, heranzupirschen
sowie durch seinen Zaunes Lücken
sich einen Blumenstrauß zu pflücken.
Er bohrt mit wachsender Exstase
in seiner ungeputzten Nase
und schmatzt, wenn er Kartoffeln kaut,
vernehmlich lustbetont und laut,
obwohl es Knigge widerspricht,
der klar sagt: Dieses tut man nicht.
Er prüft verzückt in Liebeslädchen
die Fotos ziemlich nackter Mädchen
und wagt es gar, sich am Kamin
vollkommen nackend auszuziehn,
wodurch du, Leser, leicht erkennst:
Es ist nicht alles Gold, was glänzt.
Ich nehme an. Du stimmst mir bei:
Dies ist viel eher Schweinerei.
Um die Moral in dieser Welt
ist es bedauernswert bestellt.
Man kennt sie zwar, jedoch im Grunde,
führt man sie meistens nur im Munde.
Silesio