Der Wecker

Ein Gedicht von Christoph Hartlieb
---- Wie wunderbar ist doch ein Bett.
O wenn doch jeder eines hätt!
Zwei Meter lang, ein Meter breit,
der Gipfel an Bequemlichkeit,
die Festung der Intimität,
wohin kein Hauch von außen weht.
Da ist Genuss und Freude nur,
Erholung und Entspannung pur
am Tage, noch mehr in der Nacht,
ob Neumond herrscht, ob Luna lacht,
ob´s stürmt, ob´s regnet oder schneit,
bei Sonnenschein und Dunkelheit.
---- Jedoch am Morgen, wenn die Welt
sich kaum von Osten her erhellt
und er, von Engelchen umsäumt,
unsagbar süße Sachen träumt,
obwohl die Welt im Allgemeinen
nicht süß ist, sondern mehr zum Weinen,-
wenn also durch das Traumgefild
ein schrecklicher Alarmton schrillt,
fährt diesem Menschen immer wieder
Erbitterung durch Geist und Glieder.
Und während die Geräusche schwellen,
sucht er sich blind und taub zu stellen,
was aber keineswegs gelingt,
weil dieser Ton selbst Stahl durchdringt.
Er bohrt sich hartnäckig-gemein
ins Inn´re des Gehörgangs ein,
gleich spitzen Nadeln oder Speeren,
die leicht das Trommelfell versehren.
---- Allmählich schafft er´s, sich zu fassen.
Die Nacht in ihm, die Nacht um ihn
beginnt sich schon zurückzuziehn,
obwohl der Ort, wo er sich bettet,
ihn weiterhin fest an sich kettet.
Er fühlt sich innerlich zerrissen
im warmen Pfuhl der weichen Kissen,
und wenn er sich auch heftig schämt,
zeigt sich sein Willen wie gelähmt.
Er, weiß, die Stunde hat geschlagen,
jetzt oder nie muss er es wagen;
er muss es tun, jetzt oder nie,
es gibt nur eine Therapie,
sofort muss er die Chance ergreifen,
die warme Decke abzustreifen,
um einzutauschen seinen Himmel
mit jenem irdischen Getümmel,
was man gemeinhin Alltag nennt
und jeder zur Genüge kennt.
---- Noch ist nicht klar, wohin die Waage
sich senken wird in dieser Frage.
Er zögert, wartet, überlegt,
bedenkt, betrachtet und erwägt,
was spricht dafür, was spricht dagegen,
warum, wieso, weshalb, weswegen,
und wühlt stets tiefer im Morast.
Der rechte Zeitpunkt ist verpasst.
Er zieht nun, endgültig verloren,
die Decke über beide Ohren,
als Schwäch- und Feigling, der er ist,
kein Held im Kampf, nur Zivilist,
Kanonenfutter des Geschicks,
Spielball der Mächte, weiter nix.
---- Zum zweiten Male tutet jene
das Mark durchdringende Sirene,
wie um die Toten zu erwecken,
die schlaff in ihren Gräbern stecken,
doch nicht dran denken, sich zu rühren,
weil sie wohl keine Lust verspüren.
Wenn es zum dritten Male tutet,
ist er erschöpft, frustriert, verblutet,
ein Nichts, ein Schatten, eine Niete,
ein Freudenfeuer, das verglühte.
---- Da dreht er sich, moralisch pleite,
zufrieden auf die andre Seite,
und falls er nicht von dannen kroch,
liegt er wahrscheinlich heute noch.
Silesio

Informationen zum Gedicht: Der Wecker

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18.08.2023
Das Gedicht darf unter Angabe des Autoren (Christoph Hartlieb) für private Zwecke frei verwendet werden. Hier kommerzielle Anfrage stellen.
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