Das Huhn - einst und jetzt

Ein Gedicht von Christoph Hartlieb
Das Huhn galt in vergang´ner Zeit
als Vorbild der Gemütlichkeit.
Es lebte, zwar ein bisschen doof,
doch glücklich auf dem Hühnerhof,
von Sorgen frei und unverdrossen
im Kreise seiner Artgenossen
samt des verschied´nen andern Viehs
in einer Art von Paradies.
Das Futter lag in reichem Maße,
will man so sagen, auf der Straße.
Die Hühner scharrten mit den Pfoten,
und, was bei Menschen strikt verboten,
sie pickten einfach aus dem Mist,
was dort an Fraß verborgen ist:
Ein Würmchen, Lärvchen oder Mädchen,
ein Körnchen oder andres Sätchen –
für jede Hühnerexistenz
Bestand des Lebenselements.
Sie taten´s ohne Widerwillen
und ohne Sorge vor Bazillen.
Es fehlte seinerzeit noch jene
Akzentuierung der Hygiene,
die mancher heute übertreibt,
zum Beispiel, wenn er sich beweibt
und, falls er Lust zum Küssen fühlt,
mit Sagrotan die Lippen spühlt.
Die Hühner, flatterhaft und rund,
war´n trotzdem munter und gesund.
Sie brauchten sich nicht abzurackern,
und zwischendurch erscholl ein Gackern,
womit sie jedes Suchergebnis
begrüßten als Erfolgserlebnis,
wonach sie sich faul niederlegten
und der verdienten Ruhe pflegten.
Sie lagen einzeln und in Reih´n,
wenn´s möglich war, im Sonnenschein
und pickten dabei hin und wieder
sich einen Floh aus dem Gefieder.
Er gilt, wie die Experten wissen,
als ausgesuchter Leckerbissen,
und deshalb gab ein solcher Fund
meist zu erneutem Gackern Grund.
Die Schar der Hennen, stets parat,
dass sie der Hahn des Hauses trat,
sie ließen, musste es geschehn,
auch dieses über sich ergehn,
vielleicht, das ist Vermutung zwar,
weil es mit Lust verbunden war,
um dann in Ruhe zu erwägen,
wo Platz sei, um ein Ei zu legen.
Meist legten sie das Ei im Nest,
wo´s sich am besten legen lässt.
Doch manchmal, je nach Lust und Laune,
im Feld, im Busch, am Gartenzaune,
beziehungsweise, wo die Damen
sonst in der Landschaft niederkamen.
Natürlich führte jedes Ei
erneut zu lauter Gackerei.
Weil so ein Vogel garantiert
niemals Lebendiges gebiert,
dienst so ein Ei im großen ganzen
dem Zweck, sich weiter fortzupflanzen,
wobei man gern Aufschluss gewänne:
Was war zuerst: Ei oder Henne? –
ein Thema, das ganz offenbar
für Hühner selbst belanglos war,
denn unter der gedrückten Stirn
verbarg sich denkbar wenig Hirn.
Das Legen war für sie indess
ein automatischer Prozess,
der leider meist im Dand verlief,
mit andern Worten negativ,
weil sich der Mensch die Eier klaute
und sie in eine Pfanne haute.
Dies drückte kaum auf ihr Gemüt,
sie waren ziemlich abgebrüht.
Sich quälen wegen eines Eis?
Das nächste reifte schon im Steiß!
Nur eines konnte sie beglücken:
Im Dreck zu scharren und zu picken.
Dies taten sie von früh bis spät
voll Freude und Vitalität.
Das Gackern gab in weiter Runde
davon unüberhörbar Kunde.
Bisweilen fehlte aus der Gruppe
ein Huhn. Das lag dann in der Suppe,
soweit es fleischig war und fett.
Teils lag´s im ehelichen Bett,
soweit´s nicht knöchern war und ledern,
in Form von weichen Daunenfedern.
Doch abgesehn von solchen Fällen,
die eine Ausnahme darstellen,
verlief ihr Leben still und glatt.
Sie starben alt und lebenssatt
und endeten dann größtenteils
blitzschnell mit Hilfe eines Beils.
Der Mensch empfindet dies als hart.
Doch ihnen blieb es so erspart,
sich wegen ihres Tods zu kränken
und über´s Leben nachzudenken,
das, wenn es auch Vergnügen spendet,
nicht ewig dauert, sondern endet.
Doch leider, schade, welche Qual!
Dies ist nicht mehr. Es war einmal.
Denn Oma, Opa, Eltern, Enkel
verschlingen halbe Hühnerschenkel;
Berliner, Hamburger und Bayern
schwör´n heiß auf den Genuss von Eiern.
So braucht man reichlich wie noch nie
von dem besagten Federvieh.
Man stopft es, um es aufzuziehn,
in sogenannte Batterien,
ein möglichst winziges Quadrat,
ringsum begrenzt durch Maschendraht.
Das Tier kann, ohne sich zu drehn,
nur mühsam sitzen oder stehn.
Das Futter rollt am Band vorbei,
und hinten rollt davon das Ei.
Den ganzen Tag kein Sonnenlicht,
auch Scharr´n und Picken gibt es nicht.
Man hat den Tieren, und zwar allen,
gekürzt den Schnabel und die Krallen,
damit sie sie nicht selbst verletzen
in den brutalen Folternetzen.
Welch Ende ihnen auch beschieden,
ach mögen sie dann ruhn in Frieden!
Silesio

Informationen zum Gedicht: Das Huhn - einst und jetzt

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20.07.2023
Das Gedicht darf unter Angabe des Autoren (Christoph Hartlieb) für private Zwecke frei verwendet werden. Hier kommerzielle Anfrage stellen.
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